Erntedankfest - „Der eine, der umkehrt“ (Lk 17,11–19)

5. Oktober 2025 in Spirituelles


"Wir haben tausend Gründe, Gott zu danken. Das kleine Wort 'Danke' ist mehr als eine Höflichkeitsfloskel. Es ist ein Schlüssel, der unser Herz öffnet, Beziehungen heilt und den Blick weitet." Von Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer


Eichstätt (kath.net) Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
stellen wir uns vor, die Menschheit wäre ein Dorf mit 100 Einwohnern: 60 wären Asiaten, 18 Afrikaner, 13 Amerikaner, 9 Europäer. 70 Menschen wären Nichtchristen, 30 Christen. 80 hätten keine ausreichende Wohnung, 70 könnten nicht lesen und schreiben, 50 litten an Hunger. Und nur 6 Menschen verfügten über zwei Drittel des gesamten Weltkapitals. Wozu gehören wir?

Wenn wir heute einigermaßen Morgen gesund aufgewacht sind, dann geht es uns besser als Millionen anderer. Wenn wir keinen Krieg erleben, kein Gefängnis, keine Folter, dann sind wir freier als viele Menschen auf dieser Erde. Wenn wir ein Dach über dem Kopf haben, Kleidung, etwas zum Essen im Kühlschrank und vielleicht sogar ein kleines finanzielles Polster, dann gehören wir schon zu den wohlhabenden Menschen.

Allein das zeigt: Wir haben tausend Gründe, Gott zu danken. Das kleine Wort „Danke“ ist mehr als eine Höflichkeitsfloskel. Es ist ein Schlüssel, der unser Herz öffnet, Beziehungen heilt und den Blick weitet.

1. Dank – eine heilende Sprache
Das Evangelium erzählt von zehn Aussätzigen, die geheilt werden – aber nur einer kehrt zurück, fällt Jesus zu Füßen und preist Gott. Und Jesus fragt: „Wo sind die neun?“

Alle zehn wurden rein. Doch nur einer erfährt das tiefe Heil, das aus Dankbarkeit erwächst. Denn er erkennt: Gesundheit ist Geschenk, Leben ist Gabe, nichts davon ist selbstverständlich. – Und wir - gehören wir vielleicht zu den „neun“, die den Geber aller Gaben vergessen haben?

Der hl. Johannes Chrysostomos sagt: „Nicht die Wohltat macht den Menschen groß, sondern die Dankbarkeit, die sie erkennt.“
Dank ist also kein Nebengedanke, sondern die eigentliche Sprache des Glaubens. Ein Mensch, der danken kann, ist innerlich reich – weil er schon jetzt um das Heil weiß, das er in sich trägt.

2. Die stille Gefahr der Dank-Vergessenheit
Und doch: Wie leicht vergessen wir zu danken!
- Wir genießen eine Mahlzeit und vergessen, wie viele Hände gearbeitet haben, bis das Brot auf unserem Tisch liegt.
- Wir nehmen unsere Gesundheit als selbstverständlich, bis uns eine Krankheit zeigt, wie zerbrechlich wir sind.
- Wir empfangen Gottes Nähe in den Sakramenten – und vergessen dabei oft das dankbare Staunen.

So schleicht sich Dank-Vergessenheit ein. Und mit ihr eine innere Armut, die keine äußere Fülle einfach aufwiegen kann.
Der hl. Basilius der Große erinnert uns: „Die Güter, die du aufbewahrst, gehören den Hungernden; die Kleider in deinen Truhen den Nackten.“

Echter Dank führt immer auch zum Teilen. Dank, der nur bei Worten bleibt, verkümmert. Dank, der sich öffnet, wird zur Quelle des Lebens.

3. Die Eucharistie – Schule des Dankens
Wir Christen hätten eigentlich eine gute geistliche Schule, in der wir uns ins Danken einüben könnten: die Eucharistie. Schon ihr Name bedeutet „Danksagung“.

Hier empfangen wir: Brot und Wein – Früchte der Erde und der Arbeit vieler.
Hier danken wir mit den Worten: „In Wahrheit ist es würdig und recht, dir zu danken, Herr, Heiliger Vater…“
Hier werden wir verwandelt: Wir empfangen Christus, damit wir selbst lebendige Gabe werden.
Und hier werden wir gesandt: „Gehet hin in Frieden, ihr seid gesandt!“ – tragt den Dank hinaus in den Alltag.

Der heilige Irenäus von Lyon bringt es so auf den Punkt: „Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch. Das Leben des Menschen aber ist Anschauung Gottes.“

Diese rechte Sichtweise des Menschenlebens und der Dank verwandelt unser Leben und macht uns selbst lebendig – für Gott, für den Nächsten, für die ganze Schöpfung.

4. Dank als Lebenshaltung
Dankbarkeit ist daher nicht nur ein Gefühl, sondern eine Lebenshaltung. Sie wirkt heilend, sie schenkt Freiheit, sie macht das Herz weit. Öffnen wir unsere Sinne, dann werden wir dies dankbar erfahren:
- Im Garten lernen wir Geduld: Nicht alles wächst sofort. Die hl. Teresa von Ávila sagt: „Alles erreicht die Geduld.“
- In der Schöpfung lernen wir das Staunen: Alles ist Geschenk. Der hl. Franz von Assisi nannte Sonne, Wasser und Erde unsere Geschwister.
- Am Tisch lernen wir das Teilen: Dankbarkeit, die sich verschenkt, wird doppelte Freude. Der hl. Augustinus sagt: „Wer liebt, dankt; wer dankt, liebt mehr.“
- In der Liturgie lernen wir die tragfähige und tröstliche Grundmelodie des Lebens: Alles kommt von Gott – und alles kehrt zu Gott zurück.

So wird Dankbarkeit zu einer geistlichen „Therapie“: Sie heilt unsere Sorgen, sie verwandelt Bitterkeit in Freude und enge Herzen in offene Hände.

5. Dank mitten in der Not
Aber – kann man danken, wenn Leid und Schmerz das Leben prägen? Ja! Gerade dann. Dank ist kein oberflächlicher Optimismus, sondern eine Kraft gegen die Resignation.

Der hl. Johannes Chrysostomos sagt: „Nicht die Not ist das Übel, sondern die Undankbarkeit.“
Dank mitten in der Dunkelheit ist wie ein kleines Licht, das die Finsternis durchbricht. Dank verwandelt die Wunde in einen Ort, an dem Gott wirkt.

6. Vom „Danke“ zur Doxologie/ Lobpreis
Wenn ein Kind „Danke“ sagt, wird die Beziehung warm und lebendig. Unsere Erntedank-Feier heute ist genau das: unser großes „Danke“ als Kirche. Und Gott antwortet darauf mit der Gabe des Leben, mit tiefer Liebe und mit unserer neuen Zukunft.
Dankbarkeit ist für uns gläubige Christen der Weg vom bloßen Pflichtgefühl zum Lobpreis, zur Doxologie mit dem ganzen Leben. Dank heilt unser Herz, macht uns frei, weitet unseren Blick und stärkt unsere Hände zum Teilen.

Schlussgebet
„Herr, heile unser Herz von aller Undankbarkeit.
Schenke uns ein dankbares Herz,
das empfängt, ohne festzuhalten,
das teilt, ohne zu berechnen,
das hofft, ohne zu klammern.
Lass uns aus deiner Fülle leben,
damit wir selbst Segen und Trost für andere werden –
heute und an allen Tagen. Amen.“

Über den Autor: Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer (Link) ist Theologe mit Schwerpunkt auf ökumenischer Theologie, Ostkirchenkunde und ostkirchlicher Liturgie. Er studierte in Eichstätt, Jerusalem und Rom, war in verschiedenen Dialogkommissionen tätig, Konsultor der Ostkirchenkongregation in Rom, Gründungsrektor des Collegium Orientale in Eichstätt und veröffentlicht regelmäßig zu Fragen der Ostkirchen-Theologie, der Liturgie der Ostkirchen und des Frühen Mönchtums.

Archivfoto (c) kath.net/Petra Lorleberg


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