„Wir feiern das heilige Kreuz als das große Pluszeichen für unser Leben“

15. September 2025 in Spirituelles


„Das Kreuz ist kein dunkles Logo der Niederlage. Es ist das Evangelium in einem einzigen Bild…wer zu diesem Zeichen aufschaut, wird nicht niedergedrückt, sondern aufgerichtet.“ Predigt zu Kreuzerhöhung von Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer


Eichstätt (kath.net) 1. Einstieg: Das Kreuz – Zeichen, das aufrichtet
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
„Vor Deinem Kreuz, o Gebieter, fallen wir anbetend nieder und lobpreisen Deine heilige Auferstehung.“ – So singt die Kirche des Ostens. Kreuz und Auferstehung gehören untrennbar zusammen. Heute feiern wir also nicht das Scheitern, sondern den Durchbruch der Liebe.

Paulus sagt es im Galaterbrief: „Ich will mich allein des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus rühmen“ (Gal 6,14). Und das Johannesevangelium legt das Fundament: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16).

Das Kreuz ist kein dunkles Logo der Niederlage. Es ist das Evangelium in einem einzigen Bild: Gottes Liebe reicht tiefer als unsere Schuld und höher als unsere Angst. Wer zu diesem Zeichen aufschaut, wird nicht niedergedrückt, sondern aufgerichtet.

2. Geschichte: Vom Reliquienfest zum Hoffnungsfest
Schon in der Alten Kirche feierte man zwei Kreuzfeste: am 3. Mai die Kreuzauffindung und am 14. September die Kreuzerhöhung.
Die Überlieferung erzählt: Kaiserin Helena fand im Jahr 324 auf ihrer Pilgerfahrt das Kreuz Jesu in Jerusalem. Ihr Sohn, Kaiser Konstantin, ließ an dieser Stelle die große Grabes- und Auferstehungskirche errichten. Am 14. September 335 wurde das Kreuz zum ersten Mal „erhöht“ und den Menschen gezeigt. Schon die Pilgerin Egeria berichtet um 380 von dieser großen Feier in Jerusalem. Und Kirchenväter wie Ambrosius bezeugen: Das Kreuz wurde von Anfang an wie ein heiliger Schatz verehrt.

Im 7. Jahrhundert kam eine zweite Geschichte hinzu: Kaiser Heraklius brachte das Kreuz, das die Perser geraubt hatten, wieder nach Jerusalem zurück. Wieder wurde es „erhöht“ – diesmal als Zeichen, dass das Heil nicht verloren- und nicht zugrunde gehen kann.

Von Anfang an stand also nicht das grausame Werkzeug im Vordergrund, sondern das Siegeszeichen. Der Osten besingt das Kreuz als „lebenspendend“, der Westen nennt es „spes unica – unsere einzige Hoffnung“.

Schon früh vermied man bloßen Naturalismus: Man zeigte die crux gemmata, das juwelenbesetzte Kreuz – ein stilles Bekenntnis: Leiden ist real, aber es hat nicht das letzte Wort. Durch das Leid (ein leuchtender Edelstein in der Mitte der crux gemmata) leuchtet bereits die Auferstehung hindurch. Johannes Chrysostomus sagte seinen Mitbrüdern: „Zeigt niemandem das Kreuz [in der Verkündigung] ohne den Auferstandenen.“

Und das sollte auch heute noch gelten: Wenn die Kirche das Kreuz zeigt, dann, um Hoffnung auf das Leben sichtbar zu machen.

3. Theologie des Kreuzes: Vom Leid zur Hoffnung
•    Das Kreuz ist Begegnung. Die beiden Balken – vertikal und horizontal – sind wie eine Einladung: Gott beugt sich zu uns herab, und wir Menschen begegnen hier auf Erden einander.
•    Das Kreuz ist Heilsmittel. Keine Magie, sondern Wirklichkeit: Es schenkt Versöhnung. Paulus fasst es so: „Durch ihn sind wir erlöst und befreit.“
•    Das Kreuz ist Lebensbaum. Der Baum im Paradies brachte Trennung. Der Baum von Golgota schenkt Heimkehr. Ephrem der Syrer singt: „Du hast Dein Kreuz wie eine Brücke über den Tod gespannt.“ – Brücke ins Leben, nicht Barrikade.

4. Drei Bilder für das Heilsgeschehen durch das Kreuz Christi: Rekonstruktion – Restaurierung – Reparation
Die Kirchenväter verwenden Bilder, die Herz und Verstand erreichen:
•    Rekonstruktion: Aus unseren Bruchstücken macht Gott Neues. Was zerfallen war, wird in Christus zusammengehalten: Oben und unten, Licht und Dunkel, Gelingen und Scheitern – alles hat Platz.
•    Restaurierung: Gott ist der Meister-Restaurator. Er legt in uns die ursprüngliche Schönheit frei, die oft überdeckt ist. Die Schichten der Schuld werden abgetragen: „Durch seine Wunden seid ihr geheilt“ (1 Petr 2,24). Viele haben es erfahren: Unter dem Kreuz lernten sie wieder atmen.
•    Reparation: Am Kreuz zerreißt Christus den Schuldschein (Kol 2,14). Er kauft uns frei (lat. reparare) – nicht billig, sondern mit seinem Leben. Freiheit heißt: Keine Macht kann uns mehr von Gott trennen, wir sind sein Eigentum.

5. Unter dem Schatten des Kreuzbaums
Eine Erzählung sagt: Ein Mann wollte seinem Schatten entkommen. Er lief und lief – bis er zusammenbrach. Er hätte sich nur unter einen Baum stellen müssen, so die Erzählung.

Für uns Christen ist der rettende Baum das Kreuz. Unter seinem Schatten dürfen wir uns bergen – mit all unseren Sorgen, mit Schuld und gebrochenen Beziehungen. Wer unter dem Kreuz steht, merkt: Unsere Schatten werden nicht weggewischt, sondern liebevoll umfangen und getragen. Das Kreuz nimmt den Schatten nicht fort – es verwandelt ihn ins Licht.

6. Fünf Sätze an uns Menschen von heute
1.    Das Kreuz verharmlost Leid nicht, im Gegenteil – es wird beim Namen genannt.
2.    Keine Schuld ist größer als Gottes barmherzige Liebe.
3.    Am Kreuz wird deine Würde nicht zerstört, sondern erhoben.
4.    Christen tragen nicht allein ihr Kreuz – Christus geht und trägt auf unseren Kreuzwegen mit.
5.    Das letzte Wort über unseren Lebensweg ist nicht Tod, sondern Leben.

7. Drei Zusprüche gibt uns das heutige Fest
•    Den Müden: Du musst nichts leisten, um geliebt zu sein. Bleib im Schatten des Kreuzes.
•    Den Suchenden: Frag nicht zuerst „Warum das Kreuz?“, sondern „Wer liebt mich so?“
•    Den Engagierten: Du musst nicht die Welt retten. Christus hat es getan. Tu dein Kleines – den Rest lege an sein Kreuz.

8. Abschluss: Aus dem Wort Gottes leben
Die Liturgie schenkt uns zwei Schlüssel für unsere Lebenssicht:
•    Gal 6,14: „Ich will mich allein des Kreuzes rühmen.“ – Das ist Dankbarkeit: Ich muss mich nicht selbst retten.
•    Joh 3,16–17: Nicht Verdammung, sondern Rettung. Das ist die weite, lebenspendende Luft der Gnade.

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
wir feiern heute das hl. Kreuz als das große Pluszeichen für unser Leben: aus Himmel und Erde, aus Liebe und Treue, aus Leid und Hoffnung, aus Schuld und Vergebung. Unter diesem Vorzeichen dürfen wir weiterleben und glauben: So sehr hat Gott die Welt geliebt – auch uns, auch dich und mich –, um uns zu erretten. Amen.

Über den Autor: Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer (Link) ist Theologe mit Schwerpunkt auf ökumenischer Theologie, Ostkirchenkunde und ostkirchlicher Liturgie. Er studierte in Eichstätt, Jerusalem und Rom, war in verschiedenen Dialogkommissionen tätig, Konsultor der Ostkirchenkongregation in Rom, Gründungsrektor des Collegium Orientale in Eichstätt und veröffentlicht regelmäßig zu Fragen der Ostkirchen-Theologie, der Liturgie der Ostkirchen und des Frühen Mönchtums.

Foto (c) Petra Lorleberg/kath.net


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