4. September 2025 in Spirituelles
Lebensweg dieses Bischofs erhielt von John Henry Kardinal Newman die entscheidenden Impulse – „Es war seine einzigartige und unverwechselbare Stimme, Ausdruck seines heiligen Lebens und seines persönlichen Einflusses, die mich berührte“
Lincoln (kath.net/pl) kath.net dokumentiert die Kolumne „John Henry Newman: Kirchenlehrer der christlichen Freundschaft - Der neueste Kirchenlehrer ist einer meiner ältesten Freunde“ von Bischof James D. Conley (Lincoln/US-Bundesstaat Nebraska) vom 22. August 2025 in „The Pillar“ wegen seiner spirituellen Schönheit in voller Länge in eigener Arbeitsübersetzung:
Papst Leo XIV. erklärte am 31. Juli, dass der heilige John Henry Newman der 38. Kirchenlehrer sein wird.
Der englische Konvertit aus dem 19. Jahrhundert zur katholischen Kirche, der manchmal als „stiller Vater des Zweiten Vatikanischen Konzils“ bezeichnet wird, da seine Schriften viele Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils vorwegnahmen und beeinflussten, wurde 1879 von einem anderen Leo – Papst Leo XIII. – zum Kardinal ernannt.
Newman war der erste von Leo XIII. kreierte Kardinal. Tatsächlich bezeichnete Leo XIII. Newman als „meinen Kardinal“.
Bevor er Papst wurde, hatte der zukünftige Leo XIII. als Apostolischer Nuntius in Brüssel die Oxford-Bewegung kennengelernt, deren wichtigster Impulsgeber Newman war. 1845 hatte er in Belgien den seligen Pater Dominic Barberi kennengelernt, unmittelbar nachdem dieser Newman in die katholische Kirche aufgenommen hatte.
Es ist eine wunderschön harmonische Parallele, dass Papst Leo XIV. Newman in einer seiner ersten Amtshandlungen in einen noch höheren Rang erhob: zum Kirchenlehrer.
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Das erste Mal, dass ich etwas von John Henry Newman las, war in meinem zweiten Studienjahr an der University of Kansas. Ich war Student in einem „Top-Literatur“-Programm, und wir lasen kurze Auszüge aus Newmans „Discourses on the Idea of University“.
Die Stimme, die aus den Seiten erklang, fesselte sofort meine Fantasie; sie war anders als alles, was ich je gelesen hatte. Bis dahin hatte ich noch nie von Newman gehört und war noch nicht katholisch geworden.
In meinem dritten Studienjahr belegte ich den Kurs „Große britische Autoren nach 1800“, ein Pflichtfach für Anglistikstudenten. Dort stieß ich in einem für den Kurs vorgesehenen Anthologie-Lehrbuch erneut auf seinen Namen.
Wieder hörte ich diese Stimme.
Viktorianische Autoren– mit ihren unverhältnismäßig langen Sätzen, endlosen Nebensätzen und ihrer sehr kunstvollen Sprache – sind nicht immer leicht zu lesen, doch Newmans Prosa faszinierte mich.
Eine seiner Biografinnen, Muriel Spark, drückte es so aus: „Wenn man eines über Newmans Schriften sagen kann, dann das, dass er eine ‚Stimme‘ hat; es ist seine eigene und die von niemand anderem.“
Zusätzlich zu seinen akademischen Pflichten als Fellow des Oriel College in Oxford wurde Newman in seiner anglikanischen Zeit auch zum Vikar – oder Kaplan – der Universitätskapelle St. Mary the Virgin ernannt.
Von der Kanzel dieser Kirche kamen Studenten, um die Stimme zu hören, die ich hörte, als sie ihm Sonntagsnachmittags beim Abendgebet zuhörten.
Newmans Predigten wurden so beliebt, dass die Mensen auf dem Campus das Abendessen um eine Stunde verschieben mussten, weil so viele Studenten zum Nachmittagsgottesdienst in die Universitätskapelle gingen.
Diese College-Predigten wurden schließlich in acht Bänden unter dem Titel „Parochial and Plain Sermons“ veröffentlicht, der wohl berühmtesten Predigtsammlung in englischer Sprache.
Obwohl Newmans Predigten in St. Mary’s legendär wurden, war er kein sehr dynamischer Redner.
Seine Stimme war sanft und melodisch, voller subtiler Modulation, wenn er seine Predigten vom Papier ablas und dabei kaum Blickkontakt mit der Gemeinde suchte.
Um seine Stimme zu hören, mussten die Studenten still sein und sehr aufmerksam zuhören, während er von der hohen Kanzel in St. Mary’s predigte.
Matthew Arnold, der englische Dichter und Kulturkritiker, beschrieb Newmans Predigten einmal wie folgt: „Der Zauber dieser spirituellen Erscheinung, die im dämmrigen Nachmittagslicht durch die Gänge von St. Mary’s schwebte, sich zur Kanzel erhob und dann mit hinreißender Stimme die Stille mit Worten und Gedanken durchbrach, die wie religiöse Musik klangen, subtil, süß und traurig.“
Es kam häufig vor, dass Studierende bemerkten, Newmans Predigten hätten den Eindruck, als würde er persönlich zu ihnen sprechen und etwas tief in ihren Herzen ansprechen.
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Zurück in meinem Englischkurs für die Mittelstufe schrieb ich in diesem Semester meine Abschlussarbeit über Newman. Ich erinnere mich noch, wie ich meine Mutter, die als Sekretärin gearbeitet hatte, bat, meine Arbeit für mich zu tippen!
Etwa zu dieser Zeit begann ich auch, durch verschiedene Kirchen zu ziehen. Ich las viel von C.S. Lewis und besuchte daher häufig die Episkopalkirche. Ich dachte: Wenn es für Lewis gut genug war, war es auch für mich gut genug!
Doch als ich begann, mich mit den Ursprüngen der Episkopalkirche zu beschäftigen, wurde ich zu den Ursprüngen des Christentums selbst zurückgeführt.
An diesem Punkt meiner spirituellen Reise wurden mir Newmans berühmte Worte bewusst: „Tief in die Geschichte einzutauchen bedeutet: aufzuhören Protestant zu sein.“
Weihnachten desselben Jahres war ich bereits Katholik.
Als ich Newman als etwas agnostischer Student entdeckte, hätte ich nicht erwartet, dass dieser einst obskure viktorianische Schriftsteller noch zu meinen Lebzeiten selig- (2010) und heiliggesprochen (2019) sowie Kirchenlehrer werden würde.
Damit ein Heiliger zum Kirchenlehrer ernannt werden kann, muss ihm oder ihr ein bedeutender Beitrag zur theologischen oder religiösen Lehre durch Forschung, Studium oder Schreiben zuerkannt werden.
Bandbreite und Umfang des Newman-Schrifttums ist atemberaubend. Obwohl er vielleicht vor allem für seine Schriften über die Entwicklung der christlichen Lehre, den Primat des Gewissens und die wichtige Rolle der Laien in der Kirche bekannt ist, schrieb Newman auch viel über Geschichte, Philosophie, Apologetik, Sozialwissenschaften sowie politische Kommentare. Newman, der von manchen als der größte englische Prosaschriftsteller des 19. Jahrhunderts angesehen wird, verfasste auch wunderschöne Gedichte, Hymnen und Gebete und veröffentlichte zwei faszinierende Romane.
Aber wichtiger als sein literarischer und theologischer Beitrag war seine Stimme.
Es war seine einzigartige und unverwechselbare Stimme, Ausdruck seines heiligen Lebens und seines persönlichen Einflusses, die mich berührte.
Nicht unähnlich zweier anderer großer Konvertiten, dem heiligen Paulus und dem heiligen Augustinus, hört man beim Lesen Newmans eine unverwechselbare Stimme und erhält dadurch einen Einblick in sein Leben und die Ereignisse, die sein Denken prägten.
Newman war kein systematischer Theologe und auch kein Autor, den man in eine bestimmte literarische Gattung oder theologische Kategorie einordnen konnte.
Newman sah sich selbst eher als „Gelegenheitsautor“. Damit meinte er nicht, dass er nur „gelegentlich“ schrieb. Vielmehr betonte er, dass alle seine Werke durch reale Ereignisse in seinem Leben „veranlasst“ waren, oft durch die Prüfungen und Nöte, mit denen er konfrontiert war.
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Die Oxford-Bewegung war eine religiöse und intellektuelle Bewegung innerhalb der Church of England Mitte des 19. Jahrhunderts, die das katholische Erbe des Anglikanismus betonte und traditionelle Praktiken und Glaubensvorstellungen wiederherstellen wollte. Sie war auch ein Versuch, liberalisierenden und rationalistischen Tendenzen in Kirche und Gesellschaft entgegenzuwirken und die Verbindung der Church of England zum frühen Christentum zu bekräftigen.
Als Newman erkannte, dass die von ihm angeführte Bewegung keinen anderen Weg als die Konversion zur katholischen Kirche bot, wurde er am 9. Oktober 1845 in die katholische Kirche aufgenommen.
Mit Newmans Konversion folgten ihm zahlreiche weitere Gläubige in die Kirche – jahrzehntelang. Newmans Konversion versetzte der Bewegung einen solchen Schlag, dass manche behaupten, die anglikanische Kirche habe sich nie von John Henry Newmans Treuebruch erholt.
1846, ein Jahr nach seiner Konversion, reiste Newman nach Rom, da er die Priesterweihe anstrebte.
Den Jesuitenprofessoren, die Newman unterrichteten, war bald klar, dass er bereit war, zum Priester geweiht zu werden. Viele dachten, Newman würde aufgrund seines akademischen Hintergrunds in Oxford Jesuit oder Dominikaner werden – doch stattdessen zog es ihn zum Oratorium des Heiligen Philipp Neri.
Als Gemeinschaft weltlicher Priester, die einer Regel – aber keinen Gelübden – unterlagen, bot das Oratorium des Heiligen Philipp Neri einen Mittelweg zwischen einem religiösen Orden und dem Diözesanpriestertum.
Die Oratorianer legten keine Gelübde ab, sondern waren durch Freundschaft miteinander verbunden.
Und tatsächlich war Freundschaft für Newman immer sehr wichtig. Die Menschen der viktorianischen Zeit waren große Briefeschreiber, und Newman verfasste über 17.000 Briefe, die heute gemeinsam mit seinen Tagebucheinträgen in 32 Bänden zusammengefasst sind.
Man könnte Newmans Leben als eine Abhandlung über die menschlichen und übernatürlichen Tugenden der Freundschaft bezeichnen.
Newman wurde am 30. Mai 1847 zum Priester geweiht und kehrte nach England zurück, wo er in Birmingham das erste Oratorium des Heiligen Philipp Neri gründete. Die Gemeinschaft bestand aus seinen Schülern und Mitstreitern der Oxford-Bewegung.
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Als ich 2008 von Papst Benedikt XVI. zum Bischof ernannt wurde, wurde mir aufgetragen, mir ein bischöfliches Motto auszudenken.
Ich hatte große Schwierigkeiten, mich für ein Bischofsmotto zu entscheiden. Dann schlug mir ein guter Freund vor, ich solle mir, da ich Newman so sehr bewundere und verehre, sein Motto „Cor ad cor loquitur“ – „Das Herz spricht zum Herzen“ – zu eigen machen.
Das leuchtete mir ein. Aber ich rätselte, ob es erlaubt sei, das Motto eines anderen zu übernehmen. Also rief ich meinen guten Freund, den ich heute in guter Erinnerung habe, Pater Ian Ker an, den maßgeblichen Newman-Biografen. Er erzählte mir, Newman selbst habe die Zeile von Franz von Sales stibitzt – also keine Sorge!
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Zum Abschluss noch eine letzte Notiz zu [meinem Weg mit] Newman.
Im Sommer 1990 studierte ich in Rom und nahm an einer zweiwöchigen Sommerkonferenz an der Universität Oxford zum 100. Todestag Newmans teil. Pater Ian Ker, der gerade seine Newman-Biografie veröffentlicht hatte, leitete die Konferenz.
Ich habe auf dieser Konferenz viele Freunde kennengelernt, mit einigen von ihnen stehe ich noch heute in Kontakt.
Nach der Konferenz besuchten mich meine Eltern in England und reisten mit mir zurück nach Rom, bevor sie nach Kansas zurückkehrten.
Während ihres Englandbesuchs fuhren wir für eine Nacht nach Littlemore, dem kleinen Dorf außerhalb von Oxford, in das sich Newman nach seiner Abreise zurückzog.
Er und mehrere seiner Studenten und Kollegen lebten von 1842 bis 1846 in einem Haus, das sie „The College“ nannten, und machten es zu einem Ort des stillen Gebets und des Studiums, in dem sie einen Weg nach vorne erkennen konnten.
Dort nahm der selige Dominikus Barberi Newman am 9. Oktober 1845 in die katholische Kirche auf.
Das College ist heute einer wunderbaren Gemeinschaft von Ordensschwestern anvertraut, die maßgeblich am Prozess der Selig- und Heiligsprechung Newmans beteiligt waren.
Da die Schwestern wussten, dass meine Eltern nicht katholisch waren, luden sie sie ein, in den Zimmern zu übernachten, die der selige Dominikus Barberi in der Nacht bewohnt hatte, als er im strömenden Regen ankam, um Newman in die Kirche aufzunehmen.
Nachdem meine Eltern zu Bett gegangen waren, schlugen die Schwestern vor, wir sollten zum seligen Dominikus für ihre Bekehrung beten. Wir reisten am nächsten Tag ab und machten uns auf den Weg durch Frankreich nach Rom.
Irgendwann im darauffolgenden Frühjahr erhielt ich einen Brief von meiner Mutter, in dem sie mir mitteilte, dass sie und mein Vater gerne in die katholische Kirche aufgenommen werden möchten.
Am 1. August 1991 hatte ich die Ehre und das Privileg, meine Eltern zu taufen, zu firmen und ihnen die Erstkommunion zu spenden.
Ich kann nicht anders als zu denken, dass Gott und der gute Kardinal vom Himmel herab lächelten, als ich meine Mutter im Herbst vor 50 Jahren bat, jenes Englischpapier für mich abzutippen.
Weiterleitung zum Originaltext in in „The Pillar“:
"Newman’s life was a treatise on the human and supernatural virtues of friendship." -- Bishop James Conleyhttps://t.co/jbGCZvm3i1
— The Pillar (@PillarCatholic) August 22, 2025
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