12. August 2025 in Österreich
Linzer Bischof kritisiert in Gedenkmesse in St. Radegund Meinungsumfragen und Statistiken, die vermitteln: Wer der Minderheit angehört, ist hinterwälderisch oder von vorgestern
Linz (kath.net/KAP) Etiam si omnes, ego non - auf Deutsch: auch wenn alle mitmachen, ich nicht: Unter dieses Motto stelle der Linzer Bischof Manfred Scheuer seine Predigt beim Jägerstätter-Gedenktag am Samstagabend in St. Radegund. Der von den Nazis 82 Jahre davor hingerichtete Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter sei wie andere Glaubenszeugen - Mathias Spanlang, Jakob Gapp, Otto Neururer, Carl Lampert, Franz Reinisch, Hans und Sophie Scholl, Edith Stein, Sr. Restituta Kafka - verfolgt, ermordet oder hingerichtet worden, "weil sie nicht mit der Masse gelaufen sind, nicht im Chor der Mehrheit mitgeplärrt haben", sondern Widerstand leisteten. Ihr Vorbild müsse auch heute dazu anregen, Mehrheitsmeinungen vor dem eigenen Gewissen zu hinterfragen, so Scheuer.
Werde nicht auch gegenwärtig mit Meinungsumfragen oder Statistiken zu Werten vermittelt: Wer der Minderheit angehört, ist hinterwälderisch oder von vorgestern, fragte der Bischof. Gerade in der Politik seien ethische Fragen heute reduziert auf Mehrheitsfindung und Wahlkampf, Wahrheitssuche werde verkürzt auf die Machtfrage. Auch wenn die Zeiten des Kollektivismus wie in der NS-Zeit vorbei seien, gingen doch viele auf im "Man", schwömmen in der Masse mit oder blieben in ihrer Blase, ohne andere überhaupt wahrzunehmen, merkte Scheuer kritisch an. Und: "Nicht wenige haben ihre Verantwortung vollständig an die verführerischen Sinnangebote und dramatischen Rollenspiele der Fernseh-Welt delegiert."
Bei den genannten Glaubenszeugen und Märtyrerinnen dagegen habe der "äußere Verblendungszusammenhang" zu keiner Abstumpfung des Gewissens geführt, die Meinung der Massen nicht zur Anpassung der Urteilskraft, die Nazi-Ideologie nicht zur Menschenverachtung und Gottlosigkeit, so der Bischof. Sie hätten ihr Gewissen und ihre Verantwortung "nicht infantil delegiert", weder an Volk noch Führer. Sie hätten nicht der Mehrheit nach dem Mund geredet und sich nicht auf allgemeine Vorschriften und Regeln ausgeredet.
Dabei sei Franz Jägerstätter alles andere als ein notorischer Neinsager oder ein "Wirklichkeitsflüchtling" gewesen, betonte Scheuer. Aber er habe die Gabe der "Unterscheidung der Geister" gehabt, die dazu befähige, hinter die "Masken der Propaganda" und die "Rhetorik der Verführung" zu blicken.
Die Rückschau auf Jägerstätters Gewissensprotest gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime mahne dazu, "dass die Maßstäbe von Gut und Böse unverrückbar bleiben, auch wenn sie in der damaligen pervertierten öffentlichen Moral kaum Widerhall fanden". Heute mögen die Kontexte anders sein, so Scheuer, aber beim Recht auf Leben, bei Themen wie Menschenwürde und Menschrechte, Demokratie und Gerechtigkeit und bei der Gottesfrage gehe es auch heute um verantwortetes Gewissen.
Der Bischof warnte auch vor überzogenem Konkurrenzdenken: Franz Jägerstätter habe in anderen Völkern keine Rivalen, keine Gegner und Feinde gesehen. Rivalität richte Grenzen auf zwischen Menschen, Rassen und Nationen und erzeuge Feindbilder. "Durch Rivalität und Konkurrenz geht heute mehr und mehr die Fähigkeit verloren, echte Beziehungen einzugehen und sich einem Miteinander zu öffnen", sagte Scheuer.
Jährliches Gedenken um den 9. August
Anlässlich des 82. Todestages des Seligen Franz Jägerstätter (1907-1943) fand am 8. und 9. August in seinem oberösterreichischen Heimatort St. Radegund das jährliche internationale Gedenken statt. Die Feierlichkeiten sind seit 1983 ein fester Bestandteil der Erinnerung an den NS-Kriegsdienstverweigerer. Am Freitagabend bildete ein Abendgebet in der Pfarrkirche St. Radegund den Auftakt. Am Samstag sprachen die Jägerstätter-Biografin Erna Putz ("Franz Jägerstätter auf dem Weg zu seiner Entscheidung") sowie der Sozialethiker und Präsident von Pax Christi Österreich, Wolfgang Palaver ("Menschenrechte und Demokratie unter Druck - Widerstandskraft aus der christlichen Friedensethik"). Nach einer Fußwallfahrt von Tarsdorf nach St. Radegund und einer Andacht zur Todesstunde Jägerstätters bildete am Samstagabend der Gottesdienst mit Bischof Manfred Scheuer, gefolgt von einer Lichterprozession zur Grabstätte des Seligen, den Abschluss der Gedenkveranstaltung.
Der Innviertler Landwirt, Mesner und Familienvater Franz Jägerstätter hatte sich aus Glaubensgründen geweigert, mit der Waffe für das Nazi-Regime in den Krieg zu ziehen. Daraufhin wurde er vom Reichskriegsgericht in Berlin wegen "Wehrkraftzersetzung" zum Tod verurteilt und am 9. August 1943 in Brandenburg an der Havel durch Enthauptung hingerichtet. Der Vatikan bestätigte am 1. Juni 2007 offiziell das Martyrium von Franz Jägerstätter. Die Seligsprechung erfolgte am 26. Oktober 2007 unter Bischof Ludwig Schwarz im Linzer Mariendom. Der liturgische Gedenktag Franz Jägerstätters ist sein Tauftag, der 21. Mai. (Infos: www.jaegerstaetter.at)
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