Humanität unter der Guillotine

8. August 2025 in Kommentar


Diese Diskussion rund um Abtreibung und eine Kandidatin für das Richteramt ist mehr als eine politische Auseinandersetzung und eine Abwägung von Meinungen - BeneDicta am Freitag von Dorothea Schmidt


Regensburg (kath.net)

Die Debatte um Würde und Abtreibung infolge der Aussagen der Kandidatin für das Richteramt am Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, hält die Welt in Atem. Und das zu Recht, denn nichts anderes als die menschliche Würde steht auf dem Spiel — mit Folgen für die Humanität unserer Gesellschaft, die man sich nur zum Teil ausmalen kann oder will.

Diese Diskussion ist mehr als eine politische Auseinandersetzung und eine Abwägung von Meinungen. Es ist eine Frage, die das Menschsein im Tiefsten berührt und weitere Fragen evoziert: Gibt es Menschenwürde ohne Liebe? Kann es Menschenwürde überhaupt geben, wenn man einen Gott ausklammert, der die Liebe schlechthin ist?

Liebe ist Voraussetzung, um überhaupt über Menschenwürde zu sprechen. Dabei kann als Minimum vorausgesetzt werden, dass man dem andern nichts Böses will. Der Anspruch der christlichen Liebe ist größer: Echte Liebe will das Gute für den andern und setzt voraus, dass das Du genauso ein Ich ist, wie man selbst — mit derselben Würde.

Nun hat sich in der gesamten Diskussion um Brosius-Gersdorf die hässliche Fratze der Wahrheit offenbart. Salopp formuliert: Mit der Liebe ist es nicht weit her. Nicht einmal die Spitzen der christlichen Parteien zeigen noch Flagge, begnügen sich höchstens noch mit religiösen Phrasen. Sie scheinen sich innerlich des „C’s“ entledigt zu haben. Das ist schlimm und irreführend, macht Liebe ohne Gott selbige doch zur Verhandlungsmasse. Nicht einmal das Minimum, die Goldenen Regel, kann man offensichtlich noch voraussetzen: Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg auch keinem andern zu.

Brosius-Gersdorf und Konsorten sollten sich einmal in ihr damaliges Dasein als Embryo empathisch zurückversetzen: Wie hätten sie es gefunden, wenn die Mutter erwogen hätte, sie zu töten? Hätte Brosius-Gersdorf dann noch gesagt: „Angesichts dessen, dass man mein Lebensrecht noch gestuft betrachten könnte, da…., gebe ich mich mit deiner Entscheidung zufrieden?“ Wohl kaum. Jeder Embryo ist einer von uns. Jeder Embryo ist ein Mensch. Das ist eine naturgegebene Wahrheit. Auch Brosius-Gersdorf hat einmal als Embryo ihr Dasein begonnen; Jede menschliche DNA beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Das haben schon Philosophen wie Robert Spaeman oder auch Immanuel Kant dargelegt, der in diesem Punkt in der Traditionslinie der hochscholastischen Denker stand. In seiner Tugendlehre erklärte er, der Mensch habe „einen absoluten inneren Wert“ und Person sei eine vorgegebene Wirklichkeit.

Zurück zur Empathie: Um sich in jemanden hineinzufühlen, braucht es die Gabe der Empathie, also mehr als die Beachtung der Goldenen Regel. Mitgeschwisterlichkeit und Mitmenschlichkeit scheinen bei nicht wenigen Politikern einem rein materialistischen Denken gewichen zu sein. Auch bei den C-Parteien, allen voran Bundeskanzler Friedrich Merz und CDU-Fraktionschef Jens Spahn, deren Aufgabe es nicht ist, sich hinter irgendwelche Plagiate zu verstecken, sondern sie besteht jetzt darin, sich selbst treu zu sein, Flagge zu zeigen, zu ihrem „C“ zu stehen — womit sie, by the way, verlorengegangene Wähler wiedergewinnen würden.  

Wer, wenn nicht die Christen können eine Brücke schlagen von der Goldenen Regel, über die Empathie zur Liebe, die die Ebene von Gefühl und Emotion verlässt und fernab aller weltanschaulichen Grenzen auf dem Willen beruht, den anderen als anderes Ich wahrzunehmen; in der Liebe, die letztlich in Gott gründet, der die Liebe selbst und Urheber alles Guten ist, wird klar, dass der Embryo, dem Vater und Mutter einen Namen geben, nicht bloß ein kompliziertes Eiweißmolekül ist, sondern von vornherein dazu bestimmt ist, Mensch zu sein, und zwar ein Mensch, den Gott selbst ins Dasein gerufen hat.

Insofern ist Menschenwürde vom Urgrund her selbstverständlich gekoppelt an Nächstenliebe. Mehr noch: Sie ist auch an Selbstliebe gebunden, was eine weitere Frage aufwirft: Gibt es Menschenwürde ohne Selbstliebe? Oder anders: Liebt jemand, der die Menschenwürde in Frage stellt, sich selbst? Weiß er, dass er geliebt ist? Achtet er die Menschheit in sich selbst? Klar ist jedenfalls, dass die von den Menschenrechten abgetrennte Menschenwürde sowie ein vorgeburtlich gestuftes Lebensrecht, wie Brosius-Gersdorf forderte, purer Materialismus und dann ethisch gewendet Utilitarismus ist. Und totaler Nonsens im besten Sinn des Wortes, wie ein Clip auf youtube vom „magischen Geburtskanal“ es wunderbar ironisch illustrierte (vor der Geburt keine Würde, nach der Geburt Würde). Um es mit Kant zu sagen: Der Mensch hat seinen Sinn und Zweck in sich selbst.

Menschenwürde und Menschenrecht voneinander zu trennen, kommt dem „Nein“ zu Leben und Liebe gleich. Liebe ist jedoch ein universales ethisches Prinzip des Christentums und sollte bitteschön von den christlich Parteien hochgehalten werden, gewissermaßen deren Aushängeschild sein, mit dem sie sich abgrenzen von allen verheerenden Abrissvorgängen der Humanität durch linksideologische Machtgier.

Dass selbst die christlichen Parteien, vor allem deren Chefs, in diesem Punkt schwanken, zeigt, wie weit sich Glaubensmangel und kirchliche Gleichgültigkeit in die Gesellschaft gefressen haben. Wo der Glaube an Gott fehlt, der die Liebe ist und mit dem allein eine universale, ja hingebungsvolle Liebe, die das Beste für den anderen will, gedacht werden kann, bröckelt schnell auch der Respekt vor dem andern — Goldene Regel hin oder her. Es sind die Christen, die das Bewusstsein der Gesellschaft wieder aus dem Schlamm von Egoismus, und Utilitarismus herauszuheben aufgerufen sind, damit sie den Blick freibekommt auf die Metaphysik. Es ist Zeit, dass sich die C-Politiker von ihrer Vogel-Strauß-Haltung verabschieden und mutig auf den hinweisen, von dem alle Würde kommt, zumindest couragiert eintreten für die unantastbare Würde jedes Menschen von Anfang an. So, wie Gott „JA!“ zu jedem einzelnen Menschen auf dieser Welt Person gesprochen und ihn ins Dasein gerufen hat, müssen auch wir, müssen die Politiker in ausnahmslos jedem Menschen eine zu achtende Person mit Würde sehen und ihnen ein „Ja!“ zur Existenz zusprechen.

Die Suche nach einer triftigen Begründung, weshalb ein ungeborener Mensch bis zur 12. Schwangerschaftswoche weniger Lebensrecht haben sollte als im 13. Schwangerschaftswoche oder nach der Geburt, ist nicht nur ein hochgefährlicher Drahtseilakt, sondern ein Schritt einer zu erwartenden Eskapade von weiteren Änderungen in Sachen Menschenwürde und -rechte. Was kommt als nächstes? Wer legt künftig die Grenzen der Menschenwürdegarantie fest? Jetzt schon haben zehn Ethiker 15 Meinungen darüber, wann ein Mensch Würde bekommt. Die Kriterien reichen von „Würde ab der Geburt“ über „wenn erste Hirnströme gemessen werden“ bis hin zu „wenn das Kind Interessen zeigt“. Einige angelsächsische Bioethiker sprechen bei Menschen, die nur noch über einen vegetativen Status verfügen (z.b. Wachkoma) sogar von menschlichem Gemüse!

Dem widerspricht das vatikanische Dokument „DIgnitas Infitina“ vehement, wenn es heißt, dass die Würde der Person „eben nicht erst im Nachhinein verliehen" wird; sondern „sie geht jeder Anerkennung voraus und kann nicht verloren werden". Die wichtigste Sinngebung sei „an die ontologische Würde gebunden, die der Person als solcher allein durch die Tatsache zukommt, dass sie existiert und von Gott gewollt, geschaffen und geliebt ist".

Und genau das steht auch in Deutschland derzeit auf der Waagschale. Mehr noch: Die Humanität in Deutschland steht an der Guillotine. Noch ist das Fallbeil nicht gefallen — dank zahlreicher Proteste, aber es schwebt bedrohlich über der Menschenwürde; bereit sie jederzeit zu zerstückeln: Die „Guten“ ins Töpfchen, die „Schlechten“ ins Kröpfchen. Wollen wir das wirklich? Menschenwürde als Verhandlungsmasse? Eine Gesellschaft, die der Todeskultur den roten Teppich ausrollt?

Echte Humanität zeigt sich daran, ob eine Gesellschaft Mitleid, Nächstenliebe, Güte, Milde, Toleranz, Wohlwollen, Hilfsbereitschaft zeigt. Daran kann man derzeit mehr als zweifeln, auch wenn uns die vielen queeren und linksliberalen Ideologien genau das zu sein vorgeben. Aber wie human eine Gesellschaft wirklich ist, wird sich daran messen, wie sie mit Menschen am Anfang und Ende des Lebens umgeht. Man kann niemanden zwingen, christlich zu sein. Aber so ehrlich sollten die C-Parteien schon sein, sich zu fragen, ob das „C“ oder vor allem ihre Führungsspitze noch in ihr politisches Profil passt oder sie die Leute damit nicht bloß an der Nase herumführen. Und die Goldenen Regel ist doch das Mindeste, das man erwarten könnte. Von einer Brosius-Gersdorf, erst recht von Parteien, die sich christlich nennen.


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