11. März 2025 in Deutschland
DBK-Vorsitzender in Messfeier zur Eröffnung der DBK-Vollversammlung: „Was soll ich auch schon beitragen können dazu, dass sich etwas dreht, hin zu stärkerem Zusammenhalt, Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit?“
Steinfeld (kath.net/DBK) kath.net dokumentiert die Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, beim Eröffnungsgottesdienst zur Frühjahr-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Kloster Steinfeld in voller Länge:
„Dry January“ liegt voll im Trend. Eine Zeit der Abstinenz: Sie ist der Einsicht geschuldet, dass es guttut, die Balance wiederherzustellen, nachdem wir es uns in den Wochen zuvor so gut gehen ließen, vielleicht etwas zu gut … Auch in diesen Tagen ist die Einsicht groß, dass dem Schlemmen und ausgelassenen Feiern vernünftigerweise eine Zeit der Zurückhaltung folgen soll. Fasten und Abstinenz werden heute von vielen bejaht und geübt als persönlicher Einsatz, um zurückzufinden zu körperlicher und seelischer Ausgeglichenheit. Und darüber hinaus sind solche Fastenzeiten auch Zeichen der Solidarität zur ganzen Schöpfung – auch denen gegenüber, denen oft das Nötigste zum Leben fehlt oder denen angesichts einer Suchtproblematik nichts anderes übrigbleibt, als dauerhaft abstinent zu leben.
In den letzten Jahren hat Papst Franziskus angesichts von Kriegen, Krisen und schweren Katastrophen übers Jahr immer wieder einmal zu einem Tag des Fastens und des Gebetes eingeladen. Ganz große Vorhaben: Frieden, Gerechtigkeit, das Ende von Flucht und Vertreibung, Armut und Hunger und die Wende in der Klimakrise brauchen den Einsatz vieler. Daran erinnert der Papst mit solchen Aufrufen. Fasten – nicht als notwendige Nacharbeit, weil wir zuvor etwas über die Stränge geschlagen sind; Fasten vielmehr als Vorarbeit für ganz neue Zeiten und andere Verhältnisse in der Welt. Kluge Voraussicht und sinnvolle Vorbereitung; das ist auch der Sinn der 40 Tage der österlichen Bußzeit. „Quadragesima“ und „Quarantäne“, das klingt nicht nur ähnlich, es beschreibt auch eine verwandte Bewegung, eine Übergangsphase, in der wir uns aus Solidarität opferbereite Zurückhaltung auferlegen, um den Schritt in neue Verhältnisse und neue Welten wagen zu können. Abstinent, betend und großzügig gehen wir auf Ostern zu, den Tag aller Tage, der die Welt verändert hat. Wir wollen ihn nüchtern, wach und weitherzig feiern können. Das ist der Sinn dieser vorösterlichen Auszeit.
Hat es einen Sinn? Ist es vernünftig, dass wir uns zurückhalten, weniger verbrauchen, die Stille suchen und bewusste Gebetszeiten, um einen Beitrag zu leisten zu mehr Gerechtigkeit und Frieden in der Welt? Hat es Sinn, so bewusst auf die Feier der österlichen Tage zuzugehen und sie als Höhepunkt des Jahres und Anbruch einer neuen Zeit zu verstehen?
Ja, das macht Sinn, allerdings unter drei Bedingungen. Zuerst braucht es die Einsicht, dass es etwas mit mir zu tun hat, wenn manches schiefläuft in der Welt. Das ist womöglich harte Bewusstseins- und Umkehrarbeit, denn üblicherweise legen wir „zweierlei maß“ an: „meine fehler | durch die umstände bedingt | mein versagen | ich kann doch nichts dazu | meine schuld | eine genetische determination || aber || meine leistungen | auf meinem mist gewachsen | meine erfolge | von mir allein errungen | meine verdienste | ich bin stolz auf mich“, schreibt Andreas Knapp (Andreas Knapp, Wurzeln ins Licht. Gedichte und Aphorismen, Würzburg 2024, 58). „zweierlei maß“, das kann ja nicht sein. Vor zehn Jahren hat Papst Franziskus mit seiner Enzyklika Laudato si‘ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus recht schonungslos unsere je persönliche und gemeinschaftliche Verantwortung für die ökologischen, ökonomischen und sozialen Schieflagen aufgedeckt, die die Zukunft unserer Erde und der ganzen Menschheit bedrohen.
Die zweite Bedingung ist ähnlich anspruchsvoll: Es heißt, die Denkmuster zu durchbrechen, die uns weismachen wollen: „Du kannst eh nichts ändern.“ Was soll ich auch schon beitragen können dazu, dass sich etwas dreht, hin zu stärkerem Zusammenhalt, Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit? Dabei ist doch längst bekannt, dass ein einziges Sandkorn, das in der Wüste in Bewegung kommt, einen Wirbelsturm zur Folge haben kann; ein einziger Stein im Gebirge vermag eine Lawine auszulösen; und was ein einzelner Mensch an Gutem bewirken kann, wer von uns wüsste nicht Geschichten davon zu erzählen? Wider den Fatalismus setzt Papst Franziskus auf einen anderen Lebensstil, den es einzuüben gilt: Es ist nicht alles verloren, ermutigt er, „denn die Menschen, die fähig sind, sich bis zum Äußersten herabzuwürdigen, können sich auch beherrschen, sich wieder für das Gute entscheiden und sich bessern, über alle geistigen und sozialen Konditionierungen hinweg“ (LS 205). Und weiter: „Immer ist es möglich, wieder die Fähigkeit zu entwickeln, aus sich heraus- und auf den anderen zuzugehen […], sich Grenzen zu setzen, um das Leiden oder die Schädigung unserer Umgebung zu vermeiden. Die Grundhaltung des Sich-selbst-Überschreitens, indem man das abgeschottete Bewusstsein und die Selbstbezogenheit durchbricht, ist die Wurzel aller Achtsamkeit gegenüber den anderen und der Umwelt“ (LS 208). Also: Du kannst etwas ändern, denn Du kannst Dich und Dein Verhalten, Deinen Lebensstil verändern.
Die dritte Voraussetzung, dass Fasten, Gebet und das Tun der Gerechtigkeit eine ganz neue Welt vorbereiten helfen, das ist der Glaube daran, dass Gott unseren kleinen Einsatz „verwenden“ kann für seine großen Ziele. Seinen eigenen Einsatz hat er jedenfalls schon gebracht. Er ist aus sich heraus- und auf uns zugegangen in seinem Sohn Jesus Christus. Das zu bedenken und sich davon prägen zu lassen, das ist der Sinn der Kreuzweg-Andacht, die zu diesen Wochen dazugehört. Jesu Weg ist Gottes Einsatz für neue Zeiten und eine neue Welt. Ihm verdanken wir auch die Konturen eines Zukunftsbildes, wie sie heute in Lesung und Evangelium aufscheinen. Wer sich fragt, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen – und in welche Richtung unser persönlicher Einsatz sich entwickeln soll, der findet im Gleichnis vom Weltgericht die erstrebenswerte große Perspektive in die kleine Münze täglichen Verhaltens übersetzt. Mitgefühl, Barmherzigkeit, die Achtung der Würde und der unveräußerlichen Rechte jeder Person, ein weniger individualistisches und mehr gemeinschaftliches Verständnis von gutem Leben, Frieden und Sicherheit und die Entwicklung von Gemeinschaft über Unterschiede und Eigenheiten hinweg, Gottesdienst durch Nächstendienst, ein durch die Liebe wirkender Glaube (vgl. Gal 5,6) beschreiben die Richtung gut. Und so wie Jesus in seinem Gleichnis auch das Gegenbild zeichnet, Fühllosigkeit für die Not anderer, Hartherzigkeit, Abschottung und egozentrischer Hochmut, so müssen heute die „Halluzinationen eines neuen Zeitalters“ (Tim B. Müller) entlarvt werden, die derzeit hier und anderswo in der weiten Welt wieder vollmundig und machtbesessen in die Welt posaunt werden. Gott bewahre uns vor allem, was die Spaltungen vertieft, Ungleichheit und Ungerechtigkeit zementiert und die Gesellschaften weiter auseinandertreibt statt sie zu verbinden.
Ja, die „österliche Vorarbeit“ der Quadragesima hat ihren Sinn. 40 Tage sind eine gute Zeitspanne, um etwas zu bewegen. 40, das ist nicht nur eine biblisch oft belegte Zahl: Denken Sie an die 40 Tage der Sintflut, die 40 Jahre läuternde Wüstenwanderung des Volkes Israel, die 40 Tage des Mose auf dem Berg Sinai, die 40 Tage Jesu in der Wüste zur Vorbereitung auf sein öffentliches Wirken und schließlich die 40 Tage, in denen die Jüngerinnen und Jünger den auferstandenen Herrn in ihrer Mitte erleben durften. In 40 Wochen wächst auch ein Kind bis zur Geburt heran, ein neuer Mensch, ein neues Leben. Wer also mitwirken will an neuen Zeiten, anderen Verhältnissen, gerechteren Zuständen und einer liebenswerten Welt, der und die sind herzlich eingeladen. Jetzt ist die Zeit.
Foto aus diesem Gottesdienst (c) Deutsche Bischofskonferenz/Marko Orlovic
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