16. April 2024 in Buchtipp
"Die Logik des Marktes ist erbarmungslos und fragt nicht nach Kinderrechten, Frauenrechten oder ethischen Grundsätzen, sondern nach Wachstum und Profit"
Köln (kath.net) Leseprobe aus dem neuen Buch von Birgit Kelle: "Ich kauf mir ein Kind. Das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft":
03: Die Logik des Marktes - Zwischen Lieferkettenstau und guten ukrainischen Genen
Warum soll man sich nur ein Auto oder eine Pizza bestellen und liefern lassen, wenn man das Ganze auch mit Kindern machen kann? Heißt es nicht in der englischen Sprache sowieso to deliver a baby für den Akt des Gebärens? „Geliefert wie bestellt“ bekommt im Kontext der globalen Mietmutterschaft eine ganz neue Dimension. Wer einmal damit beginnt, den Menschen nicht mehr als individuelle Person, sondern als optimiertes Ergebnis eines Produktionsprozesses zu betrachten, als Produkt, das auf dem Weltmarkt als Ware den Besitzer wechselt, bekommt es mit allen üblichen Problemen des Handels zu tun: Lieferkettenstau, Produktionsfehler, fehlender Nachschub, Überschussproduktion, kaputte Maschinen, Arbeitsunfälle, falsche Ersatzteile, vertauschte Zutaten, unqualifiziertes Personal, dubiose Zulieferer, unzufriedene Kunden, aufmüpfige Mitarbeiter, die Auslieferung falscher Pakete, komplizierte Handelsgesetze, Betrug, gebrochene Verträge und Geschäftsführer, die mit Geldkoffern untertauchen.
„Murphys Gesetz“ gilt auch auf dem menschlichen Verschiebebahnhof: Was schiefgehen kann, geht schief. Die Logik des Marktes ist nur einer von sehr vielen Gründen, warum es immer eine Illusion bleiben wird, dass man all das einfach nur vernünftig gesetzlich regeln müsse – dann ginge auch alles in Ordnung. Bis ein Mensch gezeugt wird, im Bauch einer Frau heranwächst, geboren wird, um irgendwann beim Kunden anzukommen, kann allein schon aufgrund der zahlreichen beteiligten Akteure und der komplizierten Produktionsprozesse bei jedem einzelnen Zwischenschritt enorm viel schiefgehen. Und da haben wir noch nicht einmal darüber gesprochen, welche Probleme erst entstehen, wenn das Kind von seinem neuen Besitzer gar nicht zum Liebhaben bestellt wurde, sondern zu ganz anderen Zwecken.
Man bekommt das Tor zur Hölle nicht wieder zu, wenn man es erst einmal mutwillig geöffnet hat. Wo ein Menschenleben nichts wert ist und man einmal mit dem Überschreiten roter Linien begonnen hat, ist der sich daraus entwickelnde illegale Markt wie eine Hydra, deren Köpfe mit immer neuen Ausbeutungsmöglichkeiten zwischen Kinderraub, Kinderhandel, Organhandel, Zwangsprostitution, Kinderpornographie und manchmal einer Kombination mehrerer Faktoren nachwachsen. Mietmutterschaft ist nur ein Puzzleteil von vielen, ein „Möglichmacher“, ein Instrument des Profits. Die Logik des Marktes ist erbarmungslos und fragt nicht nach Kinderrechten, Frauenrechten oder ethischen Grundsätzen, sondern nach Wachstum und Profit.
Mitten in Europa existiert ein Eldorado des Menschenhandels und ermöglicht mit seinen laxen Gesetzen nicht nur eine massive Ausweitung des Marktes auf diesem Kontinent. Es fungiert darüber hinaus als Drehscheibe und Möglichmacher für zahlreiche Agenturen aus dem Ausland, die in einem globalen Netzwerk agieren und in der Ukraine unter dem dortigen Deckmantel der Legalität eine Heimstätte finden, auch wenn ihre Ursprungsländer diese Praxis auf heimischem Boden verbieten. Legale und illegale Komponenten werden damit über Ländergrenzen hinweg verstrickt, Straftaten verschleiert, einzelne Dienstleistungsschritte an Subunternehmer ausgelagert und die Kundschaft dorthin angelockt. Nahezu exemplarisch kann anhand der Ukraine demonstriert werden, wie das schmutzige Geschäft hinter pastellfarbenen Fassaden funktioniert.
Bestellt und nicht abgeholt
Der Kollateralschaden des Marktes lag im Frühjahr 2020 in den Hotelzimmern von Kiew. Hunderte von Neugeborenen hingen in der Ukraine fest und lieferten der Welt erstmalig einen ungeschönten Blick nicht nur auf die Dimension, sondern auch auf die menschliche Tragik dieses Geschäftes mitten in Europa. Da jeden Monat rund 200 Leihmutterkinder in der Ukraine geboren werden, warteten bereits nach kurzer Zeit hunderte an Babys darauf, von ihren Bestellern abgeholt zu werden, die aber aufgrund internationaler Corona-Lockdowns und -Reisebeschränkungen nicht einreisen konnten. Bestellt und nicht abgeholt durch Lieferketten-Stau.
Durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine wiederholte sich dann das Szenario unter noch schlimmeren Bedingungen im Jahr 2022. Wieder gab es Hunderte von Kindern, doch diesmal nicht in aufgehübschten Hotelzimmern, sondern in umfunktionierten Wäschekörben in Luftschutzkellern. Während nämlich Tausende von Ukrainern mit ihren Kindern versuchten, vor dem Krieg ins Ausland zu fliehen, durften die schwangeren Mietmütter der Ukraine nicht das Land verlassen, um sich zu retten. Sie waren ja vertraglich gebunden, dazubleiben, um auf keinen Fall im Ausland zu gebären, wo das Kind dann juristisch als ihr eigenes gelten würde und die Übergabe an die Besteller Kinderhandel wäre. Allein die Firma BioTexCom sprach damals von akut 600 Schwangeren. Täglich kämen bis zu drei Kinder dazu, erzählte der BioTexCom-Rechtsberater Denis Herman der Presse, das sind im Monat rund 100 Babys. Gleichzeitig warnte das Unternehmen seine Mietfrauen auf allen Social-Media-Kanälen, das Kind im Ausland zu bekommen.
Auch die bereits geborenen Kinder konnten nicht einfach außer Landes gebracht werden. Zum einen war das schlicht aus logistischen Gründen nicht möglich und zum anderen konnten sie ja nur in der Ukraine an die Besteller übergeben werden, wenn man sich nicht des Menschenhandels auf beiden Seiten schuldig machen wollte. Viele Besteller scheuten zwar nicht das Überschreiten aller ethischen Grenzen bei der Bestellung, aber dann doch das Überqueren der realen ukrainischen, um ihr Kind aus dem Kriegsgebiet persönlich abzuholen.
Niemand weiß, wie es den Hunderten an Mietmüttern heute geht, ob und wie sie nach der Geburt medizinisch versorgt wurden. Für Besteller und Agentur endet die Verantwortung, sobald der Brutkasten seine Leistung geliefert hat. Auch zu diesen Frauen war von der vielzitierten „feministischen Außenpolitik“ der deutschen Bundesregierung nie ein Wort zu hören.
Das Geschäft läuft inzwischen trotz Krieg unbeirrt weiter. BioTexCom ist bemüht, auf allen Kanälen zu bestätigen, dass die Lage ruhig sei und das Geschäft weitergehe. Man habe es trotz Krieg nie eingestellt. Stolz vermeldet man im November 2023, dass trotz des Krieges auch in diesem Jahr bereits 759 Kinder für Kunden auf der ganzen Welt geboren worden seien. Gleichzeitig wurde der Produktionsprozess angepasst und erweitert. Es ist jetzt nicht mehr nötig, zur Abgabe seines genetischen Materials nach Kiew zu reisen, es gäbe jetzt einen Abholservice. Wir sehen im dazu erstellten Firmenvideo sonnige Bilder flanierender Menschen in Kiew, alles ist wie aus dem Urlaubsprospekt. Krieg? Wo denn? Im September 2023 bestätigen mir auf der Babymesse in Köln mehrere Anbieter, die in der Ukraine agieren, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, sollte ich ein Baby haben wollen. „Ist kein Problem!“ Es sei völlig ungefährlich, nach Kiew zu kommen. Man habe aber für die ängstlichen Kunden, die nicht weit ins Landesinnere wollen, in Grenznähe neue Räume angemietet und auch an der tschechischen Grenze, wo man ebenfalls Treffen mit den Mietmüttern, vertragliche Formalitäten und die Übergabe von Eizellen und Samenspenden arrangieren könne. Krieg ist kein Hindernis für ein Geschäft.
Gute Gene und Flatrates aus der Ukraine
Die ukrainischen Eizellspenderinnen und Mietmütter werden derweil wie Zuchtstuten von ihren Zuhältern im Internet angepriesen. Ausschließlich erstklassiges Genmaterial hat man beim ukrainischen Babyzüchter Feskov im Angebot. Wie ein Marktschreier preist man auf schlecht übersetzten deutschsprachigen Internetseiten in pathetisch-patriotischem Ton das reinrassige Erbgut der Ukraine und die zahlreichen Vorteile der ukrainischen Frau an: „Gene der Ukrainerinnen heißen Schönheit und Gutmütigkeit, Friedensliebe und Arbeitsamkeit, Ausdauerfähigkeit und Weiblichkeit, wie bei echten Wirtinnen des heimischen Herdes. Das sind Kernwerte. Aber bei Umständen weisen ukrainische Gene die ganze Kraft der Freiheitsliebe, Kampflust und Tapferkeit auf. Solch eine Ansammlung von unikalen Eigenschaften sagt von guten, gesunden Genen.“
Der Service von Feskov demonstriert lehrbuchmäßig, wie man lokale Gesetzgebungen umgeht und selbst Dinge möglich macht, die eigentlich verboten sind, indem man Genmaterial, aber auch Schwangere in der Welt hin und her verschiebt, je nachdem wo man sie gerade braucht und wie es sich der lokalen Gesetzgebung der Besteller am besten anpasst. Sie wollen die günstigen Preise der Ukraine, aber trotzdem bei der Geburt dabei sein, ohne in die Ukraine zu reisen? Kein Problem, der Brutkasten wird dann eben nach Tschechien oder nach Kanada, in die USA, nach Argentinien oder in die Niederlande, nach Griechenland oder Österreich zur Entbindung geschafft. Jeder bekommt ein Kind – egal wer er ist und woher er kommt.
kath.net-Buchtipp:
Birgit Kelle: Ich kauf mir ein Kind
Das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft |
Taschenbuch, 256 Seiten
2024 Finanzbuch Verlag
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-95972-770-9
Preis Österreich: 18,60 €
© 2024 www.kath.net