12. Dezember 2020 in Weltkirche
Der 4. August 2020 sollte der glücklichste Tag im Leben des 32-jährigen Libanesen Jad sein. Im Krankenhaus „Sankt Georg“ brachte seine Frau Christelle ihren ersten Sohn zur Welt, Nabil.
München-Wien (kath.net/KIN)
von Maria Lozano
Der 4. August 2020 sollte der glücklichste Tag im Leben des 32-jährigen Libanesen Jad sein. Im Krankenhaus „Sankt Georg“ brachte seine Frau Christelle ihren ersten Sohn zur Welt, Nabil. Gegen 17:45 Uhr konnten die Eltern ihr Neugeborenes in die Arme schließen. Doch das Glück währte nur wenige Minuten. Um 18:07 Uhr explodierten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im nahegelegenen Hafen von Beirut, eine der größten nichtnuklearen Detonationen der Menschheitsgeschichte. Mehr als 200 Menschen starben, über 6500 wurden verletzt.
„Alles flog durch die Luft. Ich dachte, der Krieg bricht aus“, erzählt Jad, der als Lehrer arbeitet, dem weltweiten päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“. „Mein erster Gedanke galt natürlich meiner Frau und meinem Kind. Nabils Wiege stand unter dem zerborstenen Fenster, voller Scherben, die sich wie kleine Lanzen in die Bettdecke gebohrt hatten. Aber Nabil war nichts passiert. Nichts. Es war ein Wunder.“
Nach dem Wunder kam die schmerzliche Trennung
Der junge Vater nahm sein unversehrtes Kind in die Arme – und staunte. So muss es gewesen sein damals im Stall von Bethlehem, ungefähr 300 Kilometer südlich von Beirut, als Josef das neugeborene Kind betrachtete. Inmitten von Hitze, Verwüstung und Tod hatte sich für die junge Familie eine Art Weihnachtswunder ereignet.
Der kleine Nabil blieb unversehrt, seine Eltern waren verletzt, gottlob nicht schwer. Das orthodoxe Sankt-Georg-Krankenhaus aber, das älteste und eines der drei größten im ganzen Land, wurde fast völlig zerstört. Christelle und ihr Baby Nabil mussten in eine andere Klinik gebracht werden, 80 Kilometer von Beirut entfernt. Die junge Familie war erst einmal getrennt.
Es waren harte und herausfordernde Momente für den jungen Vater. So wie damals für Josef, als er nach der Erscheinung des Engels im Traum noch in der Nacht das Kind und seine Mutter nahm und nach Ägypten zog. „Die Explosion hat mein Leben verändert“, erzählt Jad. Trotz aller Schwierigkeiten habe er gearbeitet und gekämpft, um seine Heimatstadt, sein Land, „das ich liebe“, wieder mitaufzubauen. „Aber“, fügt er hinzu, „um zu bleiben, brauchen wir Sicherheit und das Gefühl, dass sich jemand um uns Christen kümmert. Wir fühlen uns allein, verlassen, aufgegeben.“
Christliche Viertel sind von der Explosion besonders schwer getroffen
Das Ausmaß der Zerstörung in Beirut ist kaum zu fassen. 300 000 Menschen waren unmittelbar von der Explosion betroffen; sehr viele von ihnen sind Christen, weil ihre Wohnviertel nahe beim Hafen liegen. Die Bewohner fragen sich, wie sie den Winter überleben sollen. Die soziale, wirtschaftliche und politische Krise hat das Land ins Elend gestürzt. Inmitten all dieser Finsternis erinnert sich Jad jeden Tag an das Wunder der Geburt seines Erstgeborenen, erzählt er: „Immer wieder sage ich zu meinem Kind: Du lebst, weil Christus dich gerettet hat. Deine Mutter und ich wurden verletzt, aber Du hast keinen Kratzer. Vergiss das nie! Jesus war bei Dir in diesem Moment. Hab keine Angst, er wird immer bei Dir sein.“
Was wünscht sich Jad für sein Kind? Der junge Vater antwortet ohne zu zögern: „Frieden, Sicherheit – und die Kraft, das Kreuz Christi zu tragen. Mein Sohn erlebt das seit der 15. Minute seines Lebens, und wir Christen im Libanon kennen das nur zu gut. Wir haben Kriege und Verfolgungen überlebt. Wir leben, weil wir eine Mission zu erfüllen haben.“
Foto: Nabils Wiege, von Glassplittern übersät. © Kirche in Not
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