Für ein geeintes und geschwisterliches Europa

29. April 2020 in Aktuelles


Franziskus in Santa Marta: die Gnade der Einfachheit und Konkretheit. Entweder schwarz oder weiß, tertium non datur: nie im Grau leben! Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Papst Franziskus – Mittwoch der 3. Woche im Osterkreis, Festtag der heiligen Katharina von Siena, Patronin Europas, zweiundvierzigste Messe in Live-Streaming über Fernsehen und Internet aus der Kapelle des vatikanischen Gästehauses „Domus Sanctae Marthae“ in der messelosen Zeit.

In der Einleitung zur Messfeier richtete der Papst seine Gedanken auf Europa, wie er es auch bei anderen Gelegenheiten in diesen Tagen der Covid-19-Pandemie getan hatte:

„Heute ist sie der Festtag der heiligen Kirchenlehrerin Katharina von Siena, Patronin Europas. Lasst uns für Europa beten, für die Einheit Europas, für die Einheit der Europäischen Union: dass wir alle zusammen als Geschwister vorangehen können“.

In seiner Predigt kommentierte Franziskus den ersten Brief des Johannes (1 Joh 1,5-2,2), in dem der Apostel feststellt, dass Gott Licht ist. Wenn wir sagten, wir seien in Gemeinschaft mit ihm, seien wir auch in Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu reinige uns von aller Sünde. Und er ermahne: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre und die Wahrheit ist nicht in uns“. Der Apostel rufe zur Konkretheit, zur Wahrheit auf.

Wie es im heutigen Evangelium heiße (Mt 11,25-30), in dem Jesus den Vater preise, weil er das Evangelium vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Kleinen offenbart habe. Die Kleinen beichteten ihre Sünden auf einfache Weise, sie sagten konkrete Dinge, weil sie die Einfachheit hätten, die Gott ihnen gebe. Auch wir müssten einfach und konkret sein und unsere konkreten Sünden mit Demut und Scham bekennen:

„Im ersten Brief des Apostels Johannes gibt es viele Gegensätze: zwischen Licht und Finsternis, zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Sünde und Unschuld. Aber der Apostel ruft immer zur Konkretheit, zur Wahrheit auf und sagt uns, dass wir nicht in Gemeinschaft mit Jesus sein und in der Finsternis wandeln können, weil er Licht ist. Entweder das eine oder das andere: das Grau ist noch schlimmer, denn das Grau lässt dich glauben, dass du im Licht gehst, denn du befindest dich nicht in der Dunkelheit, und das beruhigt dich. Das Grau ist sehr verräterisch. Entweder das eine oder das andere.

Der Apostel fährt fort: ‚Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre und die Wahrheit ist nicht in uns’, denn wir haben alle gesündigt, wir sind alle Sünder. Und hier gibt es eine Sache, die uns täuschen kann: zu sagen ‚wir sind alle Sünder’, wie diejenigen, die ‚Guten Morgen’, ‚Guten Tag’ sagen, eine Gewohnheitssache, sogar eine soziale Sache, und so haben wir kein wirkliches Bewusstsein der Sünde.

Nein: ich bin ein Sünder wegen dem, dem, dem. Die Konkretheit. Die Konkretheit der Wahrheit: Wahrheit ist immer konkret. Die Lügen sind ätherisch, sie sind wie Luft, man kann sie nicht fassen. Die Wahrheit ist konkret. Und man kann nicht hingehen und seine Sünden auf abstrakte Weise bekennen: ‚Ja, ich... ja, ich habe einmal die Geduld verloren, ich habe wieder die Geduld verloren...’, und abstrakte Dinge. ‚Ich bin ein Sünder’. Die Konkretheit: ‚Ich habe das getan. Das habe ich mir gedacht. Das habe ich gesagt’. Die Konkretheit ist das, was mir das Gefühl gibt, ein echter Sünder zu sein und nicht ein Sünder in der Luft.

Jesus sagt im Evangelium: ‚Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast’. Die Konkretheit der Kleinen. Es ist schön, den Kleinen zuzuhören, wenn sie zur Beichte kommen: sie sagen keine seltsamen Dinge, so in die Luft. Sie sagen konkrete Dinge, und manchmal zu konkrete, weil sie diese Einfachheit haben, die Gott den Kleinen gibt.

Ich erinnere mich immer an ein Kind, das einmal zu mir kam, um mir zu sagen, dass es traurig war, weil es sich mit seiner Tante gestritten hatte... Aber dann ging es weiter. Ich sagte: ‚Was hast du denn getan?’ – ‚Eh, ich war zu Hause, ich wollte Fußball spielen gehen – ein Kind, eh? – aber die Tante, Mama war nicht da, die Tante sagt: nein, du gehst nicht raus: du musst erst deine Hausaufgaben machen. Aus einem Wort ergibt sich das andere, und am Ende sagte ich ihr, sie solle sich dorthin verziehen, wohin sie weiߒ. Er war ein Kind von großer geographischer Kultur... Es nannte mir sogar den Namen des Landes, in das er seine Tante geschickt hatte! Sie sind so: einfach, konkret.

Auch wir müssen einfach, konkret sein: die Konkretheit führt dich zur Demut, denn Demut ist konkret. ‚Wir sind alle Sünder’ ist eine abstrakte Sache. Nein: ‚Ich bin ein Sünder wegen dem, dem und dem’, und das führt mich zu der Scham, Jesus anzuschauen: ‚Vergib mir’. Die wahre Haltung des Sünders. ‚Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre und die Wahrheit ist nicht in uns’. Es ist eine Art zu sagen, dass wir ohne Sünde sind, es ist diese abstrakte Haltung: ‚Ja, wir sind Sünder, ja, ich habe einmal die Geduld verloren...’, aber alles in der Luft. Ich erkenne die Realität meiner Sünden nicht. ‚Aber, wissen Sie, wir alle, wir alle tun diese Dinge, es tut mir leid, es tut mir leid... es bereitet mir Schmerzen, ich will es nicht mehr tun, ich will es nicht mehr sagen, ich will es nicht mehr denken’. Es ist wichtig, dass wir in uns selbst unsere Sünden benennen. Die Konkretheit. Denn wenn wir es in der Luft halten, werden wir in der Finsternis enden. Werden wir wie die Kleinen, die sagen, was sie fühlen, was sie denken: sie haben noch nicht die Kunst gelernt, die Dinge ein wenig verpackt zu sagen, damit man sie versteht, aber nicht sagt. Das ist eine Kunst der Großen, die uns so oft nicht gut tut.

Gestern erhielt ich einen Brief von einem Kind aus Caravaggio. Sein Name ist Andrea. Und er hat mir Dinge über sich erzählt: die Briefe von Kindern sind so schön, wegen der Konkretheit. Und er sagte mir, dass er die Messe im Fernsehen gehört habe und dass er mir eines ‚vorwerfen’ müsse: dass ich sage: ‚Friede sei mit euch’, ‚und das können Sie nicht sagen, denn bei der Pandemie können wir uns nicht berühren’. Er sieht nicht, dass [ihr hier] eine Verbeugung mit dem Kopf macht und euch nicht berührt. Aber er hat die Freiheit, die Dinge so zu sagen, wie sie sind..

Auch wir müssen mit dem Herrn die Freiheit haben, die Dinge zu sagen, wie sie sind: ‚Herr, ich bin in Sünde: hilf mir’. Wie Petrus nach dem ersten wunderbaren Fischfang: ‚Geh weg von mir, Herr, denn ich bin ein Sünder’. Diese Weisheit der Konkretheit haben. Denn der Teufel will, dass wir in Lauheit leben, lau, im Grau: weder gut noch schlecht, weder weiß noch schwarz: grau. Ein Leben, das dem Herrn nicht gefällt. Der Herr mag keine Lauen. Konkretheit. Keine Lügner sein. ‚Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht’: er vergibt uns, wenn wir konkret sind. Das geistliche Leben ist so einfach, so einfach. Aber wir machen es kompliziert mit diesen Nuancen, und am Ende kommen wir nie an...

Bitten wir den Herrn um die Gnade der Einfachheit, und möge er uns diese Gnade schenken, die er den einfachen Menschen, den Kindern, den Jugendlichen gibt, die sagen, was sie fühlen, die nicht verbergen, was sie fühlen. Auch wenn es eine falsche Sache ist, aber sie sagen es. Auch mit ihm, die Dinge sagen: die Transparenz. Und nicht ein Leben führen, das weder das eine noch das andere ist. Die Gnade der Freiheit, diese Dinge sagen zu können, und auch die Gnade, vor Gott gut zu wissen, wer wir sind“.

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