Chorkreuz von Notre-Dame als Hoffnungszeichen für Europa?

20. April 2019 in Deutschland


Weihbischof Losinger an Karfreitag über die Identifizierung vieler Franzosen mit «ihrer» Kathedrale.


Augsburg (kath.net/ pba)
Weihbischof Anton Losinger hat das Kreuz, das nach dem verheerenden Brand im Chor der Pariser Kathedrale Notre-Dame stehenblieb, als „ein Hoffnungszeichen“ für die Zukunft des Landes und des Glaubens in Europa bezeichnet. Könne das golden leuchtende Kreuz im rauchenden Schutt des eingestürzten Gewölbes, vielleicht ein Symbol, ein Anstoßpunkt des Aufbruchs und einer geistigen Erneuerung werden? In Paris, in Frankreich. Vielleicht in Europa“, fragte Weihbischof Losinger heute in der Karfreitagsliturgie mit Bischof Dr. Konrad Zdarsa im Augsburger Dom. Denn trotz eines „Geistes der offensiven Trennung von Kirche und Staat in Frankreich“ verwundere es, dass viele Bürger nicht nur „von einem bedeutenden Stück des kulturellen Welterbes der Menschheit“ sprächen, sondern die Kathedrale „als ihr Herzstück und ihre geistige Heimat“ bezeichneten.

Dabei seien gerade die französische Hauptstadt mit ihrer Kathedrale „ein dramatischer Kristallisationspunkt von geschichtlichen Wendepunkten, von Katastrophen und Umbrüchen. Punkte, an denen man mit dem Kreuz Schluss machen wollte“, erinnerte der Weihbischof schlaglichtartig an herausragende Ereignisse in einer mehr als 800-jährigen Geschichte von Notre-Dame. Zur Zeit der Französischen Revolution, als In der Kathedrale das Kreuz beseitigt und eine Statue der Göttin der Vernunft aufgestellt worden sei. Oder nur etwa zehn Jahre später, als Napoleon sich an jenem Ort zum Kaiser krönte, indem er sich selbst die Krone aufsetzte. „Das Gottesgnadentum des Kaisers der Franzosen – welch ein Widerspruch zum König auf dem Kreuzesthron in der Basilika Notre-Dame“, betonte Weihbischof Losinger. Und auch das Tausendjährige Reich der Nationalsozialisten sei vergangen, und wie durch ein Wunder das Kreuz des Erlösers stehen geblieben.

Gleichzeitig verwies der Weihbischof auf die jüngere Vergangenheit, indem er auf die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Augsburger Katholisch-Theologische Fakultät an den früheren Erzbischof von Paris, Jean-Marie Kardinal Lustiger, im Jahr 1989 einging. Die zentrale These in der Festrede des Kardinals damals lautete wie folgt: „Das Christentum in Europa ist nicht am Ende. Es steckt erst in den Kinderschuhen.“ Allein in einer geistigen Neubestimmung der Wirklichkeit vom Evangelium aus betrachtet habe Kardinal Lustiger seinerzeit eine reale Möglichkeit zur Änderung des zerstörerischen postmodernen Menschen gesehen.

Der christlichen Religion komme daher am Übergang ins dritte Jahrtausend ihrer Geschichte eine neue, unersetzliche Rolle und Aufgabe zu, nämlich das Evangelium einer säkularen Gesellschaft zu verkünden und zu entdecken. Weihbischof Losinger zitierte Jean-Marie Lustiger: „Die kulturelle Entwicklung und die ethischen Fragestellungen von heute weisen nicht auf ein Ende der Fragen des Evangeliums hin; sie stellen vielmehr deren Schärfe klar heraus." Und deshalb galt für den Kardinal im Widerspruch zu einer Interpretation der zeitgenössischen Kultur: „Wir stehen nicht am Ende, wir stehen an den Anfängen des christlichen Zeitalters.“


Musikalisch gestaltet wurde die Liturgie von Solisten, die gemeinsam mit dem Domchor die Passion von Heinrich Schütz sangen und den Domsingknaben, die unter anderem das „Miserere Mei“ von Gregorio Allegri sangen.

Foto: Weihbischof Anton Losinger © Nicolas Schnall, pba.


© 2019 www.kath.net