Wechsel an Spitze der Glaubenskongregation: Von Müller zu Ladaria

31. August 2017 in Interview


„Ladaria ist jetzt offiziell das, was er de facto seit 2013 war.“ KATH.NET-Interview mit dem ‚Außenminister‘ der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher - Fotostrecke


Vatikan (kath.net/pl) Der neue Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Luis Ladaria, „repräsentiert keine Partei oder theologische Richtung, ist aber prinzipiell orthodox. Er wird als guter Zuhörer beschrieben und kann Brücken bauen. Gemäßigt konservativ wäre vielleicht eine gute Beschreibung.“ Dies erläutert Prof. Thomas Schirrmacher im kath.net-Interview zum Wechsel an der Spitze der Glaubenskongregation. Der evangelisch-reformierte Theologe Schirrmacher (im Foto mit Papst Franziskus) ist Stellvertretender Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz und Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit (Bonn). Der Deutsche Bundestag zog ihn bereits mehrfach als Sachverständigen heran, bei der Bischofssynode des Vatikans zum Thema Ehe und Familie nahm er sowohl 2014 wie auch 2015 als geladener Beobachter und Mitglied des Deutschen Zirkels teil. Er hat vielfältige Kontakte sowohl in den Vatikan wie auch zu den Leitungsverantwortlichen anderer christlicher Kirchen, aber auch zu politischen Verantwortlichen.

kath.net: Gerhard Ludwig Kardinal Müller galt als Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation als Garant der Kontinuität von Papst Benedikt her. Nun wurde seine fünfjährige Amtszeit nicht erneuert, sondern der zweite Mann hinter ihm, Erzbischof Luis Francisco Ladaria Ferrer, SJ, zum Präfekten der Glaubenskongregation ernannt. Hat sich Papst Franziskus jetzt von der Kontinuität mit seinem Vorgänger abgewendet?

Schirrmacher: Nein. Luis Ladaria wurde ja ebenfalls schon 2008 von Papst Benedikt als Nachfolger von Erzbischof Angelo Amato zum Sekretär der Glaubenskongregation bestellt (und zugleich zum Titular-Erzbischof ernannt). Er ist gewissermaßen nur eins aufgerückt. Ladaria ist Jahrgang 1944 und dogmatisches Urgestein in Rom und wurde eigentlich von Papst Johannes Paul II. entdeckt, der ihn 2004 als Generalsekretär der Internationalen Theologenkommission berief, die Teil der Glaubenskongregation ist und der er von 1992 bis 1997 selbst angehört hatte (die Mitgliedschaft dort rotiert und ist immer zeitlich begrenzt). Ladaria gehörte wohl zu den engsten Mitarbeitern Kardinal Ratzingers bei der Ausarbeitung der berühmten Erklärung „Dominus Iesus“, die gewissermaßen Ratzinger/Benedikt pur ist, wobei er sich selbst diese Rolle nicht zuschreibt. Später unter Papst Benedikt bereitete er die Erklärung des Papstes dazu vor, dass die Lehre vom ‚Limbus‘ nicht weiter gelehrt wird.

Am 21.09.2013 wurde Ladaria dauerhaft im Amt als Sekretär bestätigt, am 01.07.2017 dann Nachfolger seines bisherigen Chefs Müller. Von Müller übernahm er gewissermaßen automatisch, wenn auch in jedem Amt einzeln von Papst Franziskus bestätigt, die Ämter des Präsidenten der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, des Präsidenten der Päpstlichen Bibelkommission und der Internationalen Theologenkommission.

kath.net: Ein spanischer Jesuit ist jetzt Chef der Glaubenskongregation. Ist das ein Triumph der Jesuiten?

Schirrmacher: Noch mal, Ladaria wurde bereits von den beiden Vorgängerpäpsten in den jetzigen Arbeitsbereich berufen und hat schon weit mehr als ein Jahrzehnt seine Hand bei allem im Spiel, was der Vatikan an dogmatischen Äußerungen tätigt. Außerdem ist Ladaria der einzige Jesuit im engsten Umfeld von Papst Franziskus, ansonsten hat die Berufung eines – wenn auch beim Jesuitenorden ungeliebten – Jesuiten zum Papst dem Jesuitenorden statistisch gesehen in Sachen Ämterbesetzung keine Vorteile erbracht.

kath.net: Woher kommt es, dass Ladaria von Anfang an Papst Franziskus beraten hat?

Schirrmacher: Es ist keine Frage, dass die beiden sich zunächst einmal einfach verstanden haben. Eine wichtige Gemeinsamkeit führt Ladaria und den Papst zudem nach Deutschland! Beide haben in Deutschland unter denselben Lehrern studiert und dort wesentliche Prägungen mitgenommen. Denn Ladaria hat nicht nur in Madrid erst Jura und dann als Jesuit Theologie und Philosophie studiert, sondern auch einige Zeit an der Philosophisch-theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt. Zu den Theologen, die ihn geprägt haben, zählt Ladaria drei deutsche Jesuiten rund um das Konzil, die in Sankt Georgen gelehrt haben, Alois Grillmeier, Otto Semmelroth und Hermann Josef Sieben.

Ladaria repräsentiert keine Partei oder theologische Richtung, ist aber prinzipiell orthodox. Er wird als guter Zuhörer beschrieben und kann Brücken bauen. Gemäßigt konservativ wäre vielleicht eine gute Beschreibung. Er drängt sich nicht in die Öffentlichkeit oder in Ämter. All das ist für Papst Franziskus eine gute Voraussetzung für die Zusammenarbeit.

Sein berühmter Satz von 2008 könnte auch von Papst Franziskus stammen: „Mir gefallen Extremismen nicht, weder die progressiven, noch die traditionalistischen. Ich glaube, dass es einen Mittelweg gibt, der von der Mehrheit der Theologen in Rom und in der Kirche allgemein gegangen wird, und der der richtige Weg zu sein scheint ...“

kath.net: Welche Rolle spielte denn Ladaria bezüglich Müllers Amtsende?

Schirrmacher: Gar keine in dem Sinne, dass er gegen Müller intrigiert hätte, er war wohl von den Plänen und Wünschen des Papstes selbst überrascht. Aber er spielte ungewollt eine Rolle dabei. Denn am 02.08.2016 ernannte der Papst ihn zum Präsidenten der Studienkommission zum weiblichen Diakonat, die untersuchen soll, ob das derzeitige Verbot göttlichen oder menschlichen Rechts ist. Müller hat das abgelehnt, er sah es als Einfallstor für das Thema Frauenordination.

Hier stehe ich nebenbei, das Urteil sei mir als Protestant einmal verziehen, historisch auf der Seite von Papst Franziskus. Das permanente Diakonat für Frauen, also nicht als Durchgangsstadium zum Priesteramt, war im ersten Jahrtausend der Kirche gewissermaßen normal und hat sich in den Ostkirchen noch Jahrhunderte länger gehalten als in den Westkirchen. Das ist meines Erachtens Grund genug, eine Kommission dazu einzusetzen, die die Geschichte studiert und fragt, ob das Verbot göttlichen Rechts ist oder nicht, und hat mit einer verschleierten Forderung nach Frauenordination nichts zu tun. Meine vollständige ausführliche Erklärung „Papst Franziskus und Frauen ins Diakonenamt“ findet sich im Internet [http://www.thomasschirrmacher.info/blog/papst-franziskus-und-frauen-ins-diakonenamt/].

kath.net: Also ist Ladaria nicht so konservativ als Müller?

Schirrmacher: Ich würde nicht sagen, dass Müller ‚konservativer‘ war, um einmal dieses unglückliche Wort zu verwenden. Hier muss man zwischen dem Müller als vatikanischem Lieblingsfeind der Medien und dem wahren Müller unterscheiden. Kardinal Müller wurde von der Presse oft als Hardliner dargestellt, inhaltlich wie charakterlich. Der Umgang mit ihm erwies sich als völlig anders. Er ‚bekämpft‘ andere nicht mit Machtmitteln, ist nicht Teil der vom Papst bekämpften korrupten Seilschaften, sondern setzt sich auch mit Theologen wie mir kompetent, belesen, sachlich, intellektuell auseinander. Und: Niemand kann im Vatikan so herzlich lachen wie der deutsche Kardinal.

Doch zurück zur Frage. Müller war bei bestimmten Themen konservativer, bei anderen war er es nicht. Sein Buch „Die Messe“ eröffnet viel Raum zur ökumenischen Verständigung und lehnt jedes allzu materialistische Verständnis der Transsubstantiation ab. Die Befreiungstheologie hat er gut gekannt und gut geheißen, ja vor Ort über Jahre intensiv studiert. Nach der 2. Familiensynode brachte Müller Vertreter aller Weltreligionen zu einem Symposium in der Synodenhalle in Sachen Ehe als zweigeschlechtlichem Bund zusammen und ließ dort neben mir auch andere evangelikale Experten und Kirchenführer sprechen. So etwas hatte es in der Glaubenskongregation vorher noch nie gegeben.

kath.net: Ist es nicht ungewöhnlich, dass Ladaria als Sekretär zum Präfekten ernannt wurde?

Schirrmacher: Ja, es kommt selten vor, dass ein Sekretär einer vatikanischen Behörde zu ihrem Leiter wird, aber erstens ist es schon vorgekommen und zweitens sieht sich Papst Franziskus an solche ungeschriebenen Traditionen nicht gebunden.

Ladaria wurde von Papst Franziskus schon 2013 zum engen, vielleicht engsten persönlichen theologischen Berater und galt schon sehr früh als der Theologe hinter den Ansprachen von Papst Franziskus, wie jeder Vatikan-Insider wusste und weiß. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Da ist die Position des Präfekten nur konsequent, denn eigentlich ist das ja gerade die Rolle des Präfekten, theologischer Chefberater des Papstes zu sein. Es ist eher erstaunlich, dass der Papst die komplette offizielle Amtszeit Müllers für den Wechsel abgewartet hat. Denn Müller hatte eine solche Rolle als intimer Berater des Papstes nie inne.

Oder kurz gesagt: Ladaria ist jetzt offiziell das, was er de facto seit 2013 längst war.

kath.net: So kann man das natürlich auch sehen! Welche Gründe für die Wahl Ladarias statt Müllers sehen Sie denn noch?

Schirrmacher: Der erste Punkt ist fast schon eine Ironie. Denn trotz aller Kritik am amtierenden Papst hatte Müller ein viel – wie soll ich es sagen – absoluteres Verständnis vom Papstamt als Franziskus, und wohl auch als Papst Benedikt. Ich habe das sehr umfangreiche neue Buch von Müller über das Papstamt „Der Papst“ komplett gelesen. Es ist wahrscheinlich weltweit das Buch, das das Papstamt am stärksten überhöht und gleichzeitig die Schattenseite der Geschichte fast völlig ausblendet, etwa die Dinge, für die sich die letzten drei Päpste öffentlich entschuldigt haben.
Es ist ja schon fast ironisch und für Müller sicher auch irgendwie bitter, dass das Buch fast zeitgleich mit dem Ende seines Amtes erscheint. Aber das Buch zeigt, dass er den Kurs von Papst Franziskus, viel davon zu sprechen, dass er ein Sünder sei (was Papst Benedikt ja nicht anders gehandhabt hatte), dass er nicht unfehlbar sei, dass der Papst nicht auf alle Fragen eine Antwort habe, dass die Autorität der Bischofssynode und der nationalen Bischofskonferenzen gestärkt werden müsse, nicht teilte.

Zweitens wollte der Papst meines Erachtens einen Präfekten, der seine Arbeit geräuschlos und effektiv weiterführt.

kath.net: Bleiben wir zunächst bei tatsächlichen oder vermeintlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Müller und Papst Franziskus.

Schirrmacher: Ich glaube, dass es nicht um solche Meinungsverschiedenheiten ging, sondern um den Umstand, dass Müller diese häufig öffentlich gemacht hat. Franziskus hat in seinem Pontifikat bisher nicht übermäßig viele Amtsträger ersetzt, das haben frühere Päpste teils ganz anders gehandhabt. Und kein Papst vor Franziskus hat eine solche Bandbreite an Auffassungen unter seinen Mitarbeitern geduldet. Ein gutes Beispiel ist Raymond Leo Kardinal Burke. Erst als er öffentlich davon sprach, die Kirche sei führerlos, und Interviews gab, in denen er kommentierte, was der Papst machte und sagte, blieb dem Papst fast nichts anderes übrig, als ihn zu versetzen. Burke sagte in einem Interview, ‚Evangelii gaudium‘ könne unmöglich vom päpstlichen Lehramt stammen. Ich habe das persönlich mit ihm diskutiert, da wir in Lebensrechtsfragen oft zusammengearbeitet haben, aber ihn ehrlich gesagt nicht verstanden.

Hier muss man vielleicht einmal die Geschichte der Präfekten der Glaubenskongregation anschauen. Aidan Nichols, OP, hat vertreten, dass kein Präfekt seit der Gründung der Glaubenskongregation 1542 je wie Joseph Kardinal Ratzinger handelte, dass er selbst erkennbar Theologie verfasste und als eigenständig Theologie Produzierender neben dem Papst in Erscheinung trat. John L. Allen verweist darauf, dass kein Kardinal je so berühmt wurde wie Ratzinger.

Ich würde allerdings für beides eine Ausnahme sehen, nämlich 450 Jahre früher zu Beginn der Kongregation ab 1542 (damals „Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition“) in Robert Bellarmin (1542-1621), dessen Katechismus Christianae doctrinae explicatio in 60 Sprachen und 400 Auflagen erschien und dessen gesammelte Werke noch 1874 in 12 Bänden gedruckt wurden.

Trotzdem ist es keine Frage, dass Kardinal Ratzinger die katholische Theologie – etwa auch durch den Weltkatechismus der Katholischen Kirche – geprägt hat wie lange schon kein Kardinal vor ihm. Und trotzdem hat der weltweit in den Medien präsente Kardinal Ratzinger Papst Johannes Paul II. nie via Medien in Schwierigkeiten gebracht oder öffentlich kritisiert. Nur echte Insider wussten, wo es unterschiedliche Auffassungen gab. Eine ganz seltene Ausnahme war das Friedensgebet in Assissi, das Ratzinger für falsch hielt und das er dann letztlich in „Dominus Iesus“, ohne das direkt zu sagen, kommentiert hat.

Gemessen an dem theologischen Giganten Ratzinger, der doch den Papst Papst sein ließ (bevor er selbst Papst wurde) und schwieg, war Müller ausgesprochen offenherzig und machte kein Geheimnis daraus, was er über Handlungen oder Äußerungen des Papstes dachte.

Übrigens braucht es dazu kein Papstamt mit all seinen Ansprüchen in sachen Lehramt und Autorität. Die meisten Leitungsämter lassen es nicht zu, dass der Chef öffentlich hinterfragt wird. Ich bin ja bei der weltweiten Evangelsichen Allianz in derselben Funktion wie Ladaria und voher Müller tätig. Auch wenn unser Generalsekretär mit weit weniger Autorität ausgestattet ist, würde ich es mir nicht heraus nehmen, in ständig öffentlich wegen seiner Entscheidungen und Positionen zu kritisieren und er würde sich sicher schnell einen anderen Cheftheologen suchen. Was es da zu besprechen gibt, gehört hinter verschlossene Türen.

Papst Franziskus möchte zum Zustand vor Kardinal Ratzinger zurückkehren: Der Präfekt der Glaubenskongregation ist ein eher öffentlichkeitsscheuer theologischer Chefberater des Papstes.

kath.net: Nennen Sie doch bitte einige Beispiele für diese öffentliche Kritik.

Schirrmacher: Zur Entlassung von drei Mitarbeitern durch den Papst kurz vor dem Ende seiner Amtszeit ließ er die Medien wissen, dass alle drei sehr kompetente Leute seien. Dass er die Einsetzung der Kommission zum weiblichen Diakonat ablehnte, habe ich schon erwähnt, aber er tat es eben nicht hinter verschlossenen Türen. Müller hat sich hinter Franz-Peter Tebartz van Elst gestellt, wenn auch ohne den Papst direkt zu erwähnen. Bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen weltweit, für die der Präfekt zuständig ist, sprach er bisweilen von Einzelfällen und von Pogromstimmung, ganz im Gegensatz zu dem, wie der Papst darüber sprach. Auch wenn er sich furchtbar über Bischöfe und Kardinäle aufregen konnte, die den Namen Jesu mit solchen Taten beschmutzen.

Sicher war Müller immer auch an der Würde des Papstamtes und an der Einheit der Kirche interessiert und hat – das konnte ich teilweise selbst miterleben – mitgewirkt, einen Bruch auf der Synode zu verhindern. Er stimmte trotz großer Bedenken am Ende dem Kompromiss zu. Er hatte aber auch während der Synode den „Brief der 13 Kardinäle“ unterschrieben, der – ich kann mich noch gut erinnern – ein Schock auf der Synode war, vor allem, weil die meisten Bischöfe von ihm aus der Presse erfuhren.

Müller war ein Kritiker von Amoris laetitia, stand erkennbar auf Seiten der vier Kardinäle, die in zwei Briefen kritische Fragen daran gestellt hatten, und war zumindest der Meinung, dass es falsch sei, dass Papst Franziskus nicht darauf antwortet. Bis zuletzt versuchte er hier zu vermitteln. Aber entscheidend ist: seine Bewertung von Amoris laetitia geschah öffentlich.

Als nach Amoris laetitia Bischofskonferenzen etwa in Belgien oder Deutschland begannen, die Frage der Zulassung von kirchlich verheirateten, geschiedenen und wiederverheirateten Katholiken zur Gewissensfrage zu erklären und in wenigen Ausnahmefällen zuzulassen, ging Müller an die Öffentlichkeit. Er sagte in einem Interview mit Raymond Arroyo in EWTN am 25.05.2017, also vier Wochen vor dem Ende seiner Amtszeit: „Es ist absolut unmöglich, dass der Papst als Nachfolger des Petrus und Stellvertreter Jesu Christi für die Weltkirche eine Lehre vertritt, die eindeutig gegen die Worte Jesu Christi ist.“

Ist es das Amt des Präfekten, so etwas gegen den Papst festzustellen, wenn eine ganze Bischofssynode danach fragt, was Jesus damals tatsächlich gemeint hat? Wird hier Müller nicht zum Papst über dem Papst?

Ich fand es immer erfrischend, dass Müller oft daran erinnert hat, dass der Papst weder Messias noch Offenbarungsquelle ist und dass er die Schrift nicht ändern kann. Aber was er in seinem Buch ‚Der Papst‘ darüber schreibt, dass der Papst mit seinem Lehramt auch letzte Instanz in der Auslegung der Offenbarung ist, hat er selbst nicht immer befolgt.

kath.net: Wieso hat denn Papst Franziskus Müller überhaupt die ganze Amtsperiode im Amt gelassen?

Schirrmacher: Da muss ich etwas weiter ausholen. Einmal unterhielt ich mich mit dem Papst über die Kluft, die es oft zwischen Glauben und Praxis der Kirchen und Christen und der wissenschaftlichen Theologie gebe. Als Beispiel erzählte ich ihm, dass ich meine Studenten immer warnte, sich Paulus und seinen Römerbrief zum Vorbild zu nehmen, und nach längeren Abschnitten der intellektuellen Auseinandersetzung einen Lobpreis Gottes („der gepriesen sei in Ewigkeit, Amen“), ein Gebet oder eine Liedstrophe einzufügen. Das sei zwar zutiefst christlich, könne sie aber die gute Note kosten. Man denke: eine Dissertation, auf der sich alle 20 Seiten ein enthusiastischer Abschnitt über Gott findet! Der Papst schüttelte sich vor Lachen.

Mit Vollbluttheologen und Theologieprofessoren wie mir kann Franziskus nur dann etwas anfangen, wenn diese Theologen sich im Alltag der Kirche engagieren und ihr Leben nicht nur in Kreisen ihrer Kollegen oder der Wissenschaft verbringen. Ich kann das gut nachvollziehen: Der Elitedünkel mancher akademischer Theologen im Elfenbeinturm ist nicht nur unerträglich, sondern ein Hemmschuh für die frohe Botschaft von der Erlösung in Jesus Christus.

Wäre Kardinal Müller ein elitärer Theoretiker und Akademiker gewesen oder etwa Teil der italienischen Seilschaften in der Kurie, wäre er schon viel früher ersetzt worden. Aber als einer, der 14 Jahre lang den Sommer in Armutsvierteln in Lateinamerika, vor allem in Peru, verbrachte und ein enger Freund des Befreiungstheologen Gustavo Gutiérrez ist, und als einer, der eher ein Opfer der Seilschaften im Vatikan ist und seine scharfen Auseinandersetzungen biblisch-theologisch und intellektuell und nicht hinten herum führt, hat der Papst gerne den Mann an seiner Seite gehabt, der die Theologie seines Vorgängers repräsentiert und in sein Umfeld einspeist. Müller hat das einmal sehr schön im Verhältnis zu Kardinal Kasper erklärt: „Kardinal Kasper und auch meine Wenigkeit sind katholische Theologen, die von der Tatsache der Selbstoffenbarung Gottes in Christus ausgehen. Wir sind aber keine Politiker, die Interessen miteinander ausgleichen. Als Bischöfe sind wir verpflichtet, der Wahrheit Gottes und den Menschen in ihrer Heilssuche gerecht zu werden. Der Glaube ist kein von Menschen gemachtes Parteiprogramm, das man jeweils dem Wählerwillen anpassen muss.“ (Die ZEIT 30.12.2015). Da ich bei Diskussionen zwischen beiden schon Mäuschen gespielt habe, kann ich das nur bestätigen.

kath.net: Wie stand Müller zu dem größten Projekt des Papstes, die Korruptionsbekämpfung und die Kurienreform?

Schirrmacher: Es ist schwer zu beurteilen, ob Müller die Kurienreform und den Kampf gegen Korruption behindert hat, wie es in den Medien heißt. Mir hat er mehrfach konkrete Beispiele erzählt, wie diese Korruption ablief, bis hin zur Besetzung von Aufgaben und Ämtern in der Glaubenskongregation. Er war immer ein deutscher Außenseiter in der italienischen Maschinerie. Aber ich glaube, dass ihm der Kampf von Franziskus zu viel tatsächliche oder potentielle Kritik an der Kurie und früheren Päpsten beinhaltete.

kath.net: Können Sie uns noch etwas zur Glaubenskongregation an sich sagen?

Schirrmacher: Die Glaubenskongregation hat insgesamt 50 Mitarbeiter, dazu kommen 30 theologische Berater. Das Erzbistum Köln beschäftigt dagegen 1800 Mitarbeiter! Diese Mitarbeiter müssen neben vielen anderen theologischen Aufgaben und vielen Disziplinarmaßnahmen auch jeden Fall von Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche aufarbeiten und der eigentlichen Glaubenskongregation, das heißt dem Gremium aus Kardinälen und Bischöfen, zur Entscheidung vorlegen.

Schirrmacher und Papst Franziskus - 31.10.2016 Eröffnung des Reformationsgedenkjahres in Lund, Schweden




Schirrmacher mit Kardinal Müller bei Vatikankonferenz Familie 2014


Schirrmacher und Papst Franziskus - Papst begrüßt Schirrmacher als einzigen ökumenischen Gast in der Messe in Baku/Aserbaidschan




In Baku/Aserbaidschan


Kardinal Müller lacht über einen Scherz von Rick Warren beim Ehe-Symposium der Glaubenskongregation November 2014


Schirrmacher und Patriarch Gregor III. Laham/Beirut - Patriarch lacht über Passagen über ihn im Buch ´Kaffeepausen mit dem Papst´


Schirrmacher referiert über Religionsfreiheit weltweit in einem Ausschuss des britischen House of Lords


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Foto oben: Schirrmacher und Papst Franziskus bei der Eröffnung des Reformationsgedenkjahres in Lund, Schweden am 31.10.2016 © Thomas Schirrmacher/Osservatore Romano


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