14. August 2014 in Interview
Seine Suche nach Spuren der legendären Muschelseide aus dem Vorhang des Tempels von Jerusalem hat Rabbi Gabriel Hagaï zuletzt nach Manopello geführt. Interview von Paul Badde (VATICAN magazin)
Manoppello (kath.net/VATICAN magazin) Seine Suche nach Spuren der legendären Muschelseide aus dem Vorhang des Tempels von Jerusalem hat Rabbi Gabriel Hagaï zuletzt zum Schleier des Heiligen Gesichts nach Manoppello geführt. Hier hat Paul Badde ihn für den Sender EWTN interviewt.
Gabriel Hagaï wurde in Paris geboren, lebte aber über zwanzig Jahre in Jerusalem, wo er studierte, geheiratet hat und seine sechs Kinder geboren wurden. Dort ließ er sich zu einem Rabbiner der sephardischen Tradition ausbilden, die sich vor allem in muslimischen Ländern entwickelt hat. Es folgten Jahre in Boston, wo er sich stark sozial etwa mit einer Suppenküche für Obdachlose engagierte. Seit 2003 lebt er wieder in Paris, wo er sich als Wissenschaftler, Kalligraph und Sänger einen Namen machte und wo der vielsprachige Gelehrte sich immer wieder in die Mystik des Judentums und Islams vertieft.
VATICAN magazin: Was macht ein orthodoxer Rabbi aus Paris in Manoppello in den italienischen Abruzzen?
Rabbi Hagaï: Ein Freund hatte mir von Chiara Vigo in Sardinien berichtet, die noch das uralte Handwerk der Muschelseiden-Gewinnung beherrscht, vom so genannten Byssus, dem Gold der Meere. Und weil dieses antike Gewebe bei der Kleidung der Hohenpriester im Tempel von Jerusalem eine große Rolle spielte, reiste ich zu ihr, wo mir die letzte Meisterin dieser Kunst von einem Schleier in Manoppello erzählte, der ganz aus Byssus bestehe.
So kam ich hierhin, um einen Blick auf diesen Schleier zu werfen, der wie eine Brücke zwischen Judentum und Christenheit erscheint.
Das Ephod im Kleid der Hohenpriester bestand aus Byssus und auch der Vorhang des Tempels, obwohl ich mir gar nicht vorstellen kann, dass jemals ein solch riesiger Vorhang ganz aus dem extrem wertvollen Byssus bestand.
Rabbi Hagaï: Sie haben Recht und auch wieder nicht.
Byssus gehörte zu den Fäden, die in die Komposition der Gewebe der priesterlichen Kleidung ebenso eingingen wie in den Vorhang des Tempels. Diese Fäden genügten, um den Stoffen einen goldenen Ton zu verleihen, wenn die Sonne darauf fiel. Es gab in dem Gewebe auch richtige Goldfäden, die hier mit den Byssusfäden im Glanz wetteiferten.
VATICAN magazin: Wann haben Sie das erste Mal Byssus in der Hand gehabt?
Rabbi Hagaï: In Sardinien. Doch zum ersten Mal gesehen habe ich es im Louvre in Paris, wo Teile von sehr feinem Byssus aus dem alten Ägypten aufbewahrt werden.
VATICAN magazin: Wir sind nach dem Bild Gottes geschaffen. Christen glauben außerdem, dass Gott Mensch wurde und in Jesus von Nazareth ein menschliches Gesicht angenommen hat. Sie kamen hierhin, um einen rätselhaften Schleier zu betrachten. Doch was haben Sie darin gesehen und wen?
Rabbi Hagaï: Ich habe hier das Bild von jemandem gesehen, der Jesus heißt. Von einem Rabbi. Von einem Kollegen. Und natürlich von einem Juden. Ich habe hier das Gesicht eines Juden gesehen.
Ganz ehrlich habe ich mir nicht viele Fragen gestellt, wie das Bild in diesen Schleier gekommen sein mag und all dies. Ich akzeptiere einfach seinen Nutzen.
Sie wissen, als Juden betrachten wir das Christentum als eine Häresie des Judentums. Persönlich denke ich aber, dass das gleichzeitig richtig und falsch ist. Denn das Christentum existiert ja in sich seit sehr langer Zeit. Das geht nicht ohne eine Fügung Gottes und seinen Willen und seine Voraussicht. Die Christenheit hat Heilige und viel Gutes hervor gebracht.
Auch wenn ich die Notwendigkeit der Dreifaltigkeit also nicht verstehe, und auch nicht, warum Gott Mensch geworden sein soll ich versuche es erst gar nicht , akzeptiere ich doch, dass der Big Boss die Dinge besser versteht, als wir es können. Das akzeptiere ich.
VATICAN magazin: Sie haben kein Problem, den Mann hier auf dem Schleier mit Jesus von Nazareth zu identifizieren? Und Sie sehen ihn auch nicht als einen Häretiker?
Rabbi Hagaï: Nein, überhaupt nicht. Ich akzeptiere, was ist.
VATICAN magazin: Vor einigen Wochen war ich mit María Cecilia Barbetta hier, einer Schriftstellerin aus Buenos Aires, die noch nie von dem Heiligen Gesicht gehört hatte. Sie stand beeindruckt davor und schrieb mir am nächsten Morgen folgende Mail: Heute Morgen wurde ich wach mit dem Wort Schekinah auf meinen Lippen. Ich wusste und weiß aber nicht, was es ist.
Rabbi Hagaï: Schekinah ist die Gegenwart Gottes. Es hat eine weibliche Dimension und ist die Manifestation Gottes in seiner Schöpfung.
Das ist, zuerst einmal, sehr wichtig. Wenn Menschen sich zu Gott aufmachen, ist die Schekinah das erste, was ihnen von Ihm entgegenkommt. Er begegnet in der Schekinah.
VATICAN magazin: Wenn sie also mit dem Begriff der Schekinah erwachte, heißt dies, dass ihr Bewusstsein von einer göttlichen Botschaft erreicht wurde, die ihr sagte: Ich bin hier. Empfinden Sie das hier auch?
Ich bin ein gläubiger Mensch. Ich glaube, Gott ist überall. Und natürlich gibt es hier eine göttliche Gegenwart.
Rabbi Hagaï: Was er mir sagte, werde ich Ihnen nicht sagen. Aber er war ganz in Weiß gekleidet, als wäre er in einen Tallit, einen großen weißen Gebetsschal, gehüllt und gekleidet.
Sein Gesicht war wunderschön. Ich kann mich nicht mehr ganz genau daran erinnern, doch es könnte dieses Gesicht hier gewesen sein. Wenn ich auf dieses Bild schaue und die Augen zusammen kneife, sieht er hier aus wie in meinem Traum.
Aber ich habe letzte Nacht noch einmal von ihm geträumt...
VATICAN magazin: bevor Sie heute morgen in der Kirche hinter dem Heiligen Antlitz her gingen? Vor allen Priestern und Pilgern führten Sie die Prozession hinter dem Volto Santo an
Rabbi Hagaï: Ja, die Kapuziner hatten zu mir gesagt: Als Rabbi sind Sie eingeladen, wie wir hinter dem Volto Santo her zu gehen. Es war eine brüderliche Geste und so ging ich mit.
Dabei wiederholte sich exakt eine Szene, die ich heute Nacht geträumt hatte. Da ging ich eine Treppe hinab, die genau so aussah wie die in der Kirche, als Jesus plötzlich eine Tür vor mir öffnete und sagte: Schnell, schnell, Gabriel! Die Prozession geht los. Und ich sagte: Was? Okay, ich will gehorchen. Doch welche Prozession? Das war mir nicht klar. Ich wusste nicht, worüber dieser Prophet sprach.
Aber heute morgen erkannte ich alles wieder und sagte mir: Aha, das war es also. Das ist das, was ich heute Nacht gesehen habe. Es war wie eine Vorahnung.
So war es, und ja, es ist berührend, solche Träume zu haben.
VATICAN magazin: Und Ihnen war gleich klar in ihrem Traum, dass es wieder Jesus war?
Rabbi Hagaï: Ja. In Träumen brauchen sich Menschen, Engel oder Heilige, denen man da begegnet, nie vorzustellen. Du weißt, wer sie sind.
VATICAN magazin: Aber können Sie sich noch genau an den Wortlaut erinnern von dem, was er sagte? Sagte er: Komm runter! oder Folge mir! Was war es genau?
Rabbi Hagaï: Komm schnell herab, komm schnell! Und: Die Prozession fängt jetzt an.
VATICAN magazin: In Budapest gab es im 19. Jahrhundert eine Rabbinische Denkschule, die zu der Überzeugung gekommen war, dass der Messias am Ende aussehen würde wie Jesus von Nazareth. Dass er es ist! Haben Sie je davon gehört?
Rabbi Hagaï: Ich habe davon gehört. Wenn der Messias kommt, wird er für alle kommen, besonders für die Juden, Muslime und Christen, die darauf warten, dass er kommt oder wiederkommt. Wenn Christen sagen, es ist Jesus, wird er wohl wirklich als Jesus wiederkommen.
Als Jude ist mir das egal. Er war ein Rabbi, wie Sie wissen. Er wird also wohl auch ein guter Messias sein. Warum nicht. Wenn er also zurück kommt, hab ich kein Problem damit. (lacht).
VATICAN magazin: Gibt es diese Schule immer noch im Judentum, die davon ausgeht, dass doch Jesus der wahre Messias sein könnte?
Rabbi Hagaï: Ja. Aschkenasische Juden erwarten ja auch einen aschkenasischen Messias und sephardische Juden sind überzeugt, dass Er ein Sepharde sein wird.
Ich halte das für töricht. Wenn der Messias kommt, wird er für alle kommen.
Und Er wird mit Propheten kommen, die beglaubigen werden, dass Er der Messias ist. Er wird Frieden schaffen. Er wird ein Wunder sein, und eine Offenbarung.
Denn klar, wenn Er nicht für Christen, Juden und Muslime gleichzeitig kommt, lohnt sich die ganze Mühe seiner Ankunft doch nicht. (lacht)
VATICAN magazin: Oft habe ich hier erlebt, dass Menschen das Bild auf diesem Schleier wie einen Spiegel erfahren. Ich habe Afrikaner gesehen, die hier einen Afrikaner erkannten, oder Chinesen einen Chinesen und so weiter. Hat dieser Heilige Schleier darin nicht auch eine messianische Dimension?
Rabbi Hagaï: Die Pilger, die hierhin kommen, schauen mit Augen des Glaubens auf diesen Schleier. Solch eine Annäherung bringt natürlich gesegnete Frucht.
So müssen wir auch diese Spiegelungen sehen. Du siehst das, wofür du offen bist und dann lässt Gott dich Dinge sehen, die für dich arbeiten und dein Bewusstsein auf eine neue Ebene heben.
VATICAN magazin: Auffällig bleiben dabei aber auch die Unterschiede zwischen diesem Bild und einem Meisterwerk etwa aus der Hand Leonardo da Vincis. Solchen Meisterwerken würde nie solch eine Spiegelqualität innewohnen.
Rabbi Hagaï: Stimmt, wir haben es hier gleichsam mit einer ätherischen Qualität auf diesem fast durchsichtigen Schleier zu tun. Er ist ja so fein. So zart und dünn. Sehr ätherisch. Er ist wie Rauch. Nicht ganz von dieser Welt.
Interessant ist auch die Technik, in der das Bild ausgeführt wurde. Wenn du deine Position änderst und das Licht ändert sich, bleibt das Bild nicht das gleiche. Es ist ein Bild in Bewegung, es ist ein lebendiges Bild. Vielleicht kommuniziert es ja auch in besonderer Weise mit dem Bewusstsein, dass merkwürdige Dinge geschehen, wenn Pilger es hier mit den Augen des Glaubens betrachten.
VATICAN magazin: Sie wissen, dass es keine Spur von Pigmenten auf diesem Bild gibt? Dass Byssus rein technisch nicht zu bemalen ist? Dass vollkommen unerklärlich ist, wie dieses Bild jemals in diesen Schleier kam?
Rabbi Hagaï: Ja, ja, ja. Aber wissen sie, jedes Wunder lässt Raum für Skepsis. Sonst blieben wir als menschliche Wesen ja nicht länger frei. Gott wollte uns aber frei. Darum gab er uns den freien Willen. Auch bei offensichtlichen Wundern gibt es deshalb immer die Möglichkeit zu sagen: Oh, ich bin skeptisch und ich bleibe skeptisch.
VATICAN magazin: Sie würden aber nicht zögern, diesem Bild eine wundersame Dimension zuzubilligen?
Rabbi Hagaï: Nein. Ich glaube an Wunder und glaube, dass Wunder die Grenzen von Religionen überschreiten. Wunder sind für die ganze Menschheit.
Jeder Heilige ist deshalb auch nicht nur ein Heiliger für seine eigene Religion. Er ist ein Heiliger für die gesamte Menschheit und so verhält es sich auch mit Wundern. Wunder betreffen alle und sprechen zu allen.
VATICAN magazin: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass dieser Schleier dem Grab Christi entstammt, wenn wir dazu aufmerksam das Evangelium der Auferstehung nach Johannes lesen. Das heißt aber, er war nach jüdischen Maßgaben sehr unrein. Außerdem enthält es ein Bild. Widerspricht das nicht ihrem Glauben und ihren Überzeugungen, solch einem Objekt christlicher Verehrung so nah zu kommen?
Rabbi Hagaï: Es ist uns verboten, ein Bild Gottes zu schaffen. Sonst gilt das Bilderverbot nicht, wie wir in vielen Manuskripten sehen können, in denen es von kleinen Figuren nur so wimmelt. Das ist also okay für uns, erst einmal.
Zweitens betrifft die Unreinheit im Grab zuerst einmal nur den toten Körper. Dinge, die mit ihm in Berührung kamen, sind auch unrein, aber nicht in dieser Weise. Es ist nicht die gleiche Unreinheit. Der Leichnam heißt hingegen: Avi Avot Hatumah. Das heißt, er ist der Vater aller Unreinheiten. Alles, was ihn berührt hat, ist unrein. Das stimmt. Aber es bringt nicht mehr Unreinheit.
Diese Begegnung ist also kein Problem für mich.
VATICAN magazin: Gibt es schon eine erste letzte Einsicht, die sie nach ihrer ersten Begegnung mit dem Heiligen Gesicht aus dem Herzen der Christenheit mit zurück nach Paris nehmen?
Rabbi Hagaï: Was ich dazu denke, ist nicht wirklich wichtig. Wichtig ist der Geist, der hier lebt, wo so viele Pilger mit starkem Glauben hinkommen. Dieser Glaube ist wirksam.
Wenn unter den Millionen, die hierhin kamen, sich nur einer von der Gnade berühren ließ und ein Heiliger wurde, hat sich schon alles gelohnt. Ich glaube aber, dass es mehr als nur einer unter Millionen war. Viele, viele Christen, die als Pilger hierhin gefunden haben, wurden berührt und verwandelt und auf eine Ebene erhoben, auf der sie den göttlichen Funken in sich erkannten in dem Bewusstwerden, dass dieses Bild ihr Abbild ist. Dass dieser Schleier in mir ein Zuhause hat. Ich habe diesen Schleier hier, in meinem Herzen.
So wie Er! bin ich. Wir alle wurden nach Gottes Abbild geschaffen. Hier sehe und erfahre ich: Ich bin ja gar nicht der einzige, der nach Gottes Bild geschaffen wurde. Alle Menschen wurden nach seinem Bild geschaffen. Es gibt kein Ich allein. Es gibt mehr Ich als nur mein Ich. Du bist nicht weniger ich als ich und ich bin nicht weniger Du als du. Die Ankunft bei dieser Erkenntnis in der Erfahrung der unfassbar großen Liebe Gottes zu den Menschen ist ein Moment der Gnade und jede Mühe wert. Das habe ich hier gefunden.
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